Wie deutsch ist das denn?!
Autobianchi auf den Trend zur Heckklappe auf. Sie besinnt sich dabei auf das Konzept des Mini, kopiert es geschickt und verbindet es mit einer » echten « , also am Dach angeschlagenen Gepäckraumklappe. Heraus kommt der Kleinwagen A112, und damit nähert sich der Countdown langsam seinem Ende.
Im Jahr 1971, drei Jahre vor dem Produktstart des VW Golf, stellt Fiat das Modell 127 vor– ein Kompaktfahrzeug nach dem Vorbild des Autobianchi A112, allerdings deutlich geräumiger. Der Fiat 127 ist das erste Auto vergleichbarer Größe, dessen Konstruktion alle Merkmale des späteren Golf aufweist: quer eingebauter Frontmotor, Vorderradantrieb, Schrägheck mit vollständig öffnender Heckklappe und umlegbare Rücksitzlehne. Er ist lediglich 10,7 Zentimeter kürzer und 8,5 Zentimeter schmaler als der spätere Golf. Das Design stammt von Pio Manzù, Sohn eines berühmten Bildhauers und Absolvent der legendären Hochschule für Gestaltung in Ulm. Tragischerweise kommt Manzù 1969 im Alter von nur 30 Jahren bei einem Autounfall ums Leben, zwei Jahre vor der Premiere seines Meisterstücks. Man hätte ihm gewünscht, dessen Triumph noch zu erleben: 1972 wird der Fiat 127 zum Auto des Jahres gewählt, und mit insgesamt rund 4,5 Millionen verkauften Exemplaren reiht er sich ein unter die erfolgreichsten italienischen Autos aller Zeiten.
Auch die Urform des Golf ist von Manzùs Linienführung inspiriert, und auch sie stammt nicht aus Deutschland, sondern ebenfalls aus Italien. Geschaffen hat sie der Turiner Designer Giorgio Giugiaro mit seiner Firma Italdesign, die mittlerweile (seit 2010) zum VW -Konzern gehört. Dass Giugiaro den Job 1971 überhaupt bekommt (und die Welt eine Golfklasse), ist einer Last-Minute-Entscheidung zu verdanken. Eigentlich schwebte den VW -Managern eine Art » Käfer 2.0 « vor, ein Auto mit Mittelmotor und dem VW -typischen Heckantrieb. Den Prototyp dazu entwickelt der damals 30-jährige Ferdinand Piëch bei Porsche. Das neue Modell steht bereits kurz vor der Serieneinführung, als der neue VW -Chef Rudolf Leiding sein Team quasi auf der Zielgeraden zurückpfeift. Zwei gravierende Schwachpunkte sind ihm aufgefallen: In dieser Form wäre das Auto nicht nur zu teuer, sondern der Motor läge auch direkt unter der Rücksitzbank– eine nicht gerade wartungsfreundliche Konstruktion, die obendrein den Fondpassagieren auch sommers ein backofenwarmes Hinterteil bescheren würde.
So setzen sich die VW -Entwickler erneut ans Reißbrett und lassen sich in Windeseile eine Alternative einfallen. In knapp 18 Monaten entsteht ein völlig anderes Modell, das dem technischen Vorbild des Fiat 127 folgt. Eine glückliche Hand beweist VW auch mit dem Auftrag an Giorgio Giugiaro. Der italienische Stardesigner schneidert ein so markantes Blechkleid, dass es den Golf zum formalen Vorbild einer ganzen Wagenklasse und sogar zu ihrem Namensgeber macht.
Ist der Golf also eher ein Italiener? Ein Italo-Deutscher? Ein Deutsch-Italiener? Ach was. In der Summe seiner österreichischen, französischen, dänischen, griechischen, britischen, italienischen und deutschen Gene ist er tatsächlich das Musterbeispiel eines Europäers. Und das ist doch ganz einfach– Klasse.
[16] Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2.9.2012.
Grimms Märchen
Dornröschen schläft sich durch
Es waren einmal zwei Brüder, die hießen Jacob und Wilhelm. Beide hatten in Marburg Rechtswissenschaft studiert, aber ihr wahres Herzblut gehörte der Literaturgeschichte ihrer deutschen Heimat. So begannen sie anno 1806, gleich nach dem Studienabschluss, mit der Erforschung alter Urkunden, Gedichte und Sagen. Ein glücklicher Zufall bescherte ihnen bald darauf die Einladung der beiden Schriftsteller Clemens Brentano und Achim von Arnim, an der Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn mitzuarbeiten. Bei diesen Recherchen stießen sie nebenbei auf zahlreiche Märchentexte. Zunächst fand ihr Sammeleifer auch die Unterstützung Brentanos, doch der verlor bald das Interesse an den Märchen, und die zwei Brüder überwarfen sich schließlich mit ihm.
Dieser Rückschlag konnte die beiden aber nicht bremsen, denn die Märchenbegeisterung hatte sie längst unentrinnbar gepackt. So sammelten sie munter weiter, und dank der Vermittlung Achim von Arnims konnten sie 1812 schließlich den ersten Band mit 86 deutschen » Kinder- und Hausmärchen « im Verlag von Georg Andreas Reimer herausgeben. 1850 folgte der zweite Band mit weiteren siebzig Märchen, und so ging es
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