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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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weiter mit jeder neuen Auflage, bis sie schließlich bei stolzen 211 angelangt waren. Etwa die Hälfte davon hatte man ihnen mündlich zugetragen, wobei die ergiebigste Quelle die Bäuerin Dorothea Viehmann war, eine Nachfahrin französischer Hugenotten. Andere Geschichten lieferten ihnen der Philologe Werner von Haxthausen, dessen Bruder August sowie deren gemeinsame Nichte, die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Alle übrigen Märchen basieren auf schriftlichen Quellen.
    Mit diesem ihrem Lebenswerk, das neben der Märchensammlung auch zahlreiche sprachwissenschaftliche Publikationen umfasst, gelten die beiden Brüder als Mitbegründer der heutigen Germanistik.
    So weit die wahre Geschichte der Brüder Grimm. Aber ist Ihnen aufgefallen, dass sie einen klitzekleinen Fehler enthält? Gemeint ist das Attribut » deutsch « . Denn die von Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten Märchen stammen zum großen Teil gar nicht aus Deutschland, sondern ihre Quellen verteilen sich in bunter Mischung quer über Europa, Nordafrika und Asien. So finden sich in den Handlungssträngen und Personen zahlreiche international verbreitete Motive– wie zum Beispiel der Zauberschlaf von Dornröschen, der in ähnlicher Form schon in der griechischen Antike bedichtet wurde. Oder das Aschenputtel, das uns schon bei den alten Ägyptern, im antiken Rom und später im chinesischen Kaiserreich begegnet. Nicht selten existieren solche Grundmotive in Dutzenden oder sogar Hunderten von Spielarten, bei denen Handlung und Personen immer wieder neue Wendungen erfahren.
    Märchen kennen nun mal keine Grenzen– sie vagabundieren nach Herzenslust von einem Land zum nächsten, von einer Kultur und Sprache zur anderen, und wie bei einer Völkerwanderung verändern sie dabei je nach Umfeld und Zeitalter ihre Gestalt. Auf diese Weise, mehr oder weniger landestypisch zurechtgemacht, verbreiten sie sich mühelos über große geografische Räume. Selbst die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, die ursprünglich in Indien beheimatet sind, haben es durch immer wieder angepasste Übersetzungen über Persien und die arabische Welt bis in die heutige Weltliteratur geschafft. So sind etwa Ali Baba und die vierzig Räuber ( » Sesam öffne dich! « ) bei uns kaum weniger populär als Schneewittchen und die sieben Zwerge, und Aladins orientalische Wunderlampe fasziniert uns ebenso wie das abendländische Tischlein-deck-dich.
    Einer der ersten Europäer, die Märchen systematisch sammelten, war der Italiener Giovanni Francesco Straparola (1480 –1558). Daneben erfand er auch eigene Geschichten, sogenannte Kunstmärchen, und lieferte damit weiteren Stoff für nachfolgende Generationen. Seine Sammlung– insgesamt 75 Geschichten, davon 21 Märchen– veröffentlichte Straparola zwischen 1550 und 1553 in der zweibändigen Anthologie Le piacevole notti ( » Die ergötzlichen Nächte « ), bei der die einzelnen Episoden in eine Rahmenerzählung eingebettet sind. Hier begegnen wir unter anderem der Geschichte vom Gestiefelten Kater, die Jahrhunderte später als Märchen Nummer 33 bei den Grimms wieder auftaucht.
    Die ersten schriftlichen Urfassungen der Volksmärchen Tischlein-deck-dich, Schneewittchen, Aschenputtel und Rapunzel finden sich ebenfalls in einer italienischen Kollektion mit Rahmenhandlung– dem Pentamerone, das der aus Neapel stammende Schriftsteller Giambattista Basile (1575 – 1632) im Dialekt seiner Heimat aufschrieb. Außerdem enthält das Werk eine weiterentwickelte Version der Dornröschen -Geschichte, die erstmals im 14. Jahrhundert in der altfranzösischen Erzählsammlung Le Roman de Perceforest auftaucht. Interessant in diesem Zusammenhang: In beiden Fassungen wird das in den Schlaf gehexte Dornröschen nicht nur wachgeküsst, sondern zuvor noch schnell geschwängert– ein schöner Beleg dafür, dass man sich Märchen in vormodernen Zeiten auch und gerade unter Erwachsenen erzählte. Kinder wurden, was den gleichen Vorgang betrifft, schon immer mit der altgermanischen Sage vom Klapperstorch abgespeist.
    Basile selbst erlebte das Erscheinen seines Werks nicht mehr; erst nach seinem Tod gab es seine Schwester heraus, zunächst unter dem Titel Lo cunto de li cunti ( » Das Märchen der Märchen « ) und dem Pseudonym Gian Alesio Abbattutis. Jahrzehnte später, 1674, erhielt die Sammlung dann– in Anlehnung an Boccaccios Decamerone – den bis heute gebräuchlichen Titel Il Pentamerone (frei übersetzt » Fünf-Tages-Erzählung « ).
    Die Brüder

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