Wie deutsch ist das denn?!
Mosqueen und Kirchen bauen. « Von einer derart gelassenen Weltsicht sind so manche Politiker und Publizisten in der heutigen Bundesrepublik weit entfernt.
Konsequenterweise erließ Friedrich im selben Jahr und in ebenso holpriger Schreibweise ein Edikt zum gleichen Thema: » Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der anderen abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden. « Der letzte Halbsatz dürfte jedem Leser als geflügeltes Wort bekannt sein. Und damit war keineswegs der Schlusspunkt gesetzt, auch wenn weitere Reformbestrebungen mit Friedrichs Tod (1786) vorübergehend einschliefen. Die Niederlage gegen Napoleon zwanzig Jahre später wirkte wie ein Weckruf, die Entwicklung Preußens zu einem liberalen und aufgeklärten Staat weiter voranzutreiben– bis hin zu freiheitlich-demokratischen Ansätzen. Die preußischen Reformer Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (übrigens kein gebürtiger Preuße, sondern Nassauer), Karl August von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt waren Vordenker, deren Ideale und Ideen bis in die heutige Zeit nachwirken.
Erneut gesellte sich auch der direkte französische Einfluss hinzu– nicht nur durch Napoleon, sondern auch durch einen weiteren Strom von Emigranten, der sich ab 1789 als Folge der Französischen Revolution nach Berlin ergoss. Gemeinsam mit den Hugenottenflüchtlingen waren es gerade diese französischen Einwanderer, die durch Überzeugungstreue, Sparsamkeit, Schlichtheit und Fleiß den heutigen Mythos des » Preußentums « mitbegründeten.
Angesichts dieses historischen Hintergrunds reibt man sich schon etwas die Augen: Wie konnte es dazu kommen, dass » deutsch « und » preußisch « bis in die heutige Zeit so gern gleichgesetzt werden? Hat das kurzlebige wilhelminische Kaiserreich so nachhaltige Spuren hinterlassen? Oder liegt womöglich alles nur an einer verzerrten und falschen Sichtweise? Der englische Times -Korrespondent und Kolumnist Roger Boyes sieht uns moderne Deutsche jedenfalls überhaupt nicht mehr als Preußen– auch angesichts unserer heutigen Spitzenposition bei Freizeit und Urlaubstagen. Sein skeptischer Kommentar: » Tatsächlich sind viele der preußischen Tugenden längst koreanische oder einfach asiatische Tugenden. « [22] Da könnte etwas dran sein.
Was die Untugenden betrifft, war man sich allerdings in der westlichen Welt nach Kriegsende vollkommen einig: typisch Preußen– also musste Preußen weg. Folgerichtig wurde der in Trümmern liegende Staat von den Siegermächten 1947 offiziell aufgelöst, auch wenn sich die Sowjetunion aus taktischen Erwägungen zunächst dagegen sträubte. Zur Begründung heißt es im Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats, Preußen sei » seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland « gewesen.
Das war– wie der australische Historiker und Preußen-Experte Christopher Clark scharfsinnig feststellt– eher ein vorgeschobenes Argument, um das Preußentum gemeinsam mit dem Nationalsozialismus beerdigen zu können und das Entstehen einer liberalen Bundesrepublik zu erleichtern. [23] Als geschichtliche Einstufung ist es viel zu grob gestrickt und wird auch den Fakten nicht gerecht – hat Preußen doch weniger Kriege geführt als etwa Frankreich oder England. Und was die politische Geografie betrifft: Hitler war bekanntlich Österreicher und lebte in Oberbayern, Göring wurde in Rosenheim im Chiemgau geboren und wuchs im gleichfalls bayerischen Nürnberg auf, Himmler stammte aus München, Hitlers Stellvertreter Heß war im Fichtelgebirge beheimatet, und die Parteizentrale der NSDAP stand bekanntlich nicht in Berlin, sondern in München. Nicht zu vergessen: Die berüchtigten Reichsparteitage fanden allesamt in Nürnberg statt. So betrachtet, hätte man auch den Freistaat Bayern auflösen können.
Nun, so ist es zum Glück nicht gekommen. Bayern lebt noch, und ihm sei Dank dürfen sich die Deutschen im übrigen Teil des Landes weiterhin als Preußen fühlen (oder südlich der Donau als » Saupreißn « ). Doch wir haben gesehen: So einfach, wie man oft denkt, ist dem » Preußentum « nicht beizukommen. Beschäftigt man sich intensiver damit, dann erweist es sich als genauso facettenreich, multikulturell und auch widersprüchlich wie fast alles, was in uns Deutschen und unserem Land steckt. Was unter dem Strich doch auch wieder positiv ist.
[22] Quelle: Goethe-Institut.
[23] Der Spiegel, 21.8.2007
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