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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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Pünktlichkeit
    Ohaio gozaimasu [24]
    » Fünf Minuten vor der Zeit,
    das ist preußische Pünktlichkeit. «
    Im 19. Jahrhundert war dieser Spruch ein geflügeltes Wort– und sein Flügelrauschen scheint noch heute unser nationales Selbstverständnis zu durchwehen. Kommt das Gespräch auf die typisch preußischen (mithin deutschen) Tugenden, dann kann man fast darauf wetten, dass unter anderem das Stichwort » Pünktlichkeit « fällt. Und auch wenn man sich im Ausland umhört, wird es bei der Aufzählung der deutschen Charaktereigenschaften selten ausgelassen.
    Aber ist das nicht längst ein Klischee? Oder sind wir tatsächlich noch immer die verbiesterten Pünktlichkeitsfanatiker, als die wir in weiten Teilen der Welt gesehen werden?
    Je nachdem. Denn natürlich kommt es immer darauf an, mit wem man sich vergleicht. Dass wir Mexiko oder die Dominikanische Republik– wie überhaupt fast ganz Lateinamerika– in Sachen Pünktlichkeit locker schlagen: Wer hätte es bezweifelt! Und dass auch eine Reihe anderer Länder, in denen Zeit eine untergeordnete Rolle spielt, unseren minutiösen Umgang damit bestaunen (oder auch belächeln): geschenkt. Dann aber gibt es auch wieder Nationen, die uns in dieser Beziehung geradezu für wurstig halten müssen.
    Nehmen wir als klassisches Beispiel den Schienenverkehr: Nach langem Zaudern und Sich-Winden veröffentlichte die Deutsche Bahn– zu Kaisers Zeiten der Inbegriff präzise eingehaltener Fahrpläne– im September 2011 ihre erste Pünktlichkeitsstatistik, mit bekanntem Ergebnis: Gegenüber den Vorjahren ist die ohnehin schon gefühlt hohe Verspätungshäufigkeit der Züge nicht etwa gesunken, sondern weiter gestiegen. Gerade mal 80,9 betrug demnach die Pünktlichkeitsquote von Fernzügen im Auswertungszeitraum von 16 Wochen– somit hatte sich jede fünfte Ankunft verspätet. Auswertungen des Verkehrsclubs Deutschland ( VCD ) ergaben sogar nur magere 67,2 Prozent. Nota bene: Als » pünktlich « gilt ein Zug bei der Deutschen Bahn auch noch dann, wenn er höchstens 5:59 min hinter dem Plan herschnauft. Rechnet man den Regionalverkehr hinzu, dann ergibt sich nach dieser Lesart laut Deutscher Bahn eine Pünktlichkeitsquote von insgesamt 93,2 Prozent. So zurechtfrisiert klingt der Wert durchaus wieder ganz passabel. Im folgenden Zwölf-Monats-Zeitraum bis August 2012 konnte er sogar ein knappes Prozentpünktchen drauflegen– die Quote stieg um 0,92 auf 94,12 Prozent.
    Aber: Tief im Südwesten gibt es ein Land, in dem man über solche Zahlenakrobatik nur milde lächeln kann. Die Schweizerischen Bundesbahnen ( SBB ) setzen nämlich schon das Kriterium für Pünktlichkeit ganz anders an und tolerieren höchstens 2:59 min Verspätung. Nach diesem Maßstab liegt die Schweiz in Europa mit Abstand an der Spitze: Im krassen Gegensatz zur Deutschen Bahn meldete SBB -Chef Andreas Meyer im September 2011 einen Rekord von 91,6 Prozent pünktlich angekommener Züge– das entspricht einer Steigerung um 2,9Prozent gegenüber dem Vorjahr, wenngleich die Quote 2012 wieder auf 88 Prozent sank. Auch die Österreichische Bundesbahn, die Nederlandse Spoorwegen und selbst Kandidaten, denen man es nicht zutrauen würde– wie die italienischen Ferrovie dello Stato, die spanische RENFE und die französische SNCF –, können bessere Pünktlichkeitswerte vorweisen als die DB .
    Aus globaler Sicht ergibt sich wieder ein anderes Bild, aber es widerlegt ebenfalls das überlieferte Preußen-Klischee: Das pünktlichste Volk der Welt sind keineswegs die Deutschen, auch nicht etwa die Schweizer– sondern mit Abstand die Japaner. In keinem anderen Land der Welt wird so viel Wert auf Pünktlichkeit gelegt, ja geradezu ein Kult darum getrieben. Japanische Busse und Bahnen fahren auf die Minute genau, und das in aller Regel zu 100 Prozent. Sollte es dennoch mal eine kurze Verzögerung geben, entschuldigt sich der Zugführer persönlich und demutsvoll bei den Fahrgästen. Und kurz bedeutet im Land der aufgehenden Sonne wirklich » kurz « : Mehr als 45 Sekunden Verspätung sind für den Schuldigen schon fast ein Grund, Harakiri zu begehen. Da blutet die Deutsche Bahn doch lieber finanziell– wie im Jahr 2011, als sie allein dem Freistaat Bayern die Rekordsumme von über 20 Millionen Euro als Strafgeld für Verspätungen überweisen musste.
    Auch im Arbeits- und Geschäftsleben macht den Japanern in Sachen Pünktlichkeit niemand etwas vor. Auf die Minute genau zu einer Verabredung oder am Arbeitsplatz zu

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