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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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Dessen Territorium lag übrigens wie der vorhergehende Staat des Deutschen Ordens außerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Somit war Preußen ein eigener, souveräner Staat und hatte mit dem, was wir unter Deutschland verstehen, erst einmal nichts zu tun. Erst 1871, im Jahr der Reichsgründung, wurde es mit Deutschland praktisch gleichbedeutend, indem es sämtliche deutschen Staaten mit Ausnahme Österreichs unter seiner Führung vereinte.
    Dass die Überheblichkeit und das Großmachtgehabe der wilhelminischen Epoche auf den gesamtdeutschen Geist abfärbten, lässt sich gewiss nicht abstreiten. Wie militärtrunken und autoritätshörig viele Deutsche seinerzeit waren, führte 1906 der arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt exemplarisch vor: Seine Besetzung des Köpenicker Rathauses als verkleideter » Hauptmann von Köpenick « ließ halb Europa zwischen Lachen und Weinen schwanken und ist als Theaterstück bis heute ein Evergreen.
    Mit » Preußentum « verbindet sich aber auch die Zeit der ersten Preußenkönige, Friedrich Wilhelms I. und seines Sohnes Friedrichs II . des Großen oder auch » Alter Fritz « genannt. Diese Ära des 18. Jahrhunderts hatte mit dem Hurrapatriotismus der späteren deutschen Kaiser kaum etwas gemein. Zwar baute Friedrich Wilhelm I. Preußen konsequent zur Militärmacht aus, aber zugleich lebte er seinem Volk die sprichwörtlichen Tugenden Fleiß, Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein vor. Seinem Sohn und Nachfolger gab er als Mahnung mit auf den Weg: » Arbeiten müsst Ihr, so wie ich das beständig getan habe. Ein Regent, der in der Welt mit Ehren regieren will, muss seine Sachen alle selber machen, denn die Regenten sind zum Arbeiten geboren und nicht zum faulen Leben. «
    Überdies war Preußen damals eine Drehscheibe der Kulturen und die Hauptstadt Berlin ein Schmelztiegel, der die verschiedensten Volksgruppen und Sprachen in sich aufnahm. Auffallend ist besonders die deutsch-französische Mischkultur, die sich noch heute an vielen französischen Namen ablesen lässt– und natürlich an der Bulette ( boulette ), dem Wahrzeichen der Berliner Speisekarte. Der » Alte Fritz « , vermeintlicher Inbegriff des Preußentums, dachte, fühlte, baute und parlierte sogar mit Vorliebe französisch. Was ihn dazu trieb? Vielleicht war es der Glanz der Herrscher von Versailles, allen voran der legendäre Sonnenkönig Ludwig XIV ., der diese bemerkenswerte Zuneigung beflügelte. Hinzu kam aber ganz sicher eine große Verehrung französischer Baukunst, Literatur und Philosophie– und die daraus erwachsende Widerborstigkeit gegen die Eltern, die mit alldem nicht viel im Sinn hatten.
    Es waren aber nicht nur Sprache und Kultur Frankreichs, die Friedrich faszinierten. So bestand sein halber Generalstab aus französischen Offizieren, und in seinem Potsdamer Schloss Sanssouci umgab er sich mit so vielen Franzosen, dass sein Gast Voltaire einmal sarkastisch bemerkte: » Majestät sind der einzige Fremde unter uns. « Selbst deutsche Namen erschienen ihm offensichtlich als zu profan: Die von Gottfried Wilhelm Leibnitz gegründete Königliche Societät der Wissenschaften wurde unter Friedrich II . zur Académie Royale des Sciences et Belles Lettres, die städtische Krankenanstalt zur Charité (wie sie heute noch heißt) und die Kadettenanstalt zur École militaire.
    Zusätzlichen Einfluss übte eine lang anhaltende Einwanderungswelle aus: Der protestantisch geprägte Staat Preußen war das natürliche Auffangbecken für protestantische Hugenotten, die im vorrevolutionären Frankreich verfolgt und zum Teil regelrecht massakriert wurden. Schon ab 1685 gewährte ihnen deshalb Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der » Große Kurfürst « , vor allem in Berlin dauerhaft Asyl. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts bildeten sie dort bereits eine Gemeinde von fünftausend Mitgliedern– damals ein Fünftel der gesamten Stadtbevölkerung. Ab 1701 wurde ihnen mit dem Französischen Dom am Gendarmenmarkt sogar ein eigenes Gotteshaus errichtet.
    Friedrich der Große setzte diese Offenheit fort und machte Preußen zum Inbegriff religiöser Toleranz, auch wenn die Juden erst zwei Generationen später ihre volle Gleichberechtigung erhielten. So heißt es in einem 1740 geschriebenen Brief (in Friedrichs typischem holprigem Deutsch): » Alle Religionen seindt gleich und guht, wan nuhr die leute, so sie profesieren, Erlige Leute seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land pöplieren, so wollen wier sie

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