Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
wilde Verfolgungsjagd beginnt. Dann ist es im brandenburgischen Finowfurt so weit. Der Mercedes des ranghöchsten Angels André S. wird gerammt, die beiden anderen Fahrzeuge der Höllenengel ausgebremst und eingekeilt. Besonders die Angels im Kia, Paul H., 23, Danilo B., 26, Sebastian W., 27, und Enrico K., 26, sitzen in dem nun rangierunfähigen Auto regelrecht in der Falle.
Da öffnen sich die Türen der Verfolgerautos. Es ist 2.40 Uhr, als die mit Sturmhauben vermummten und mit einer Axt, mit Macheten, Messern und Baseballschlägern bewaffneten Bandidos auf die eingekesselten Angels losstürmen. Die Höllenengel verriegeln die Türen und verbarrikadieren sich in ihren eingeklemmten Autos.
Die Bandidos zertrümmern die Fensterscheibe des Kia und knocken den Fahrer Danilo B. mit einem gezielten Fußtritt aus. Doch sie sind noch nicht fertig mit ihrem hilflosen Gegner. Danilo B. trägt eine Fraktur der rechten Kniescheibe und des linken Unterschenkels davon. Zusätzlich wird der Schwerverletzte durch Messerstiche in beide Beine und den linken Arm verwundet. Sebastian W., der sich auf der Rückbank befindet, stechen die Angreifer in den Hals und die Brust. Enrico K., Mitglied der Brigade 81, trifft es noch bedeutend schlimmer. Durch massive Machetenhiebe wird ihm fast das Bein vom Körper gehackt. Es ist ein kleines Wunder, dass es den Ärzten im Unfallkrankenhaus Marzahn gelingt, das Bein noch zu retten.
Der Berliner Präsident der Hells-Angels-Nomads, André S., entkommt dem Kriegsschauplatz, bevor die Polizei eintrifft. Er kann es dennoch nicht vermeiden, ebenfalls das Marzahner Krankenhaus aufzusuchen: In seinem Rücken steckt eine abgebrochene Messerklinge des Feindes. Als die Polizei verständigt wird, erklärt er seine Verletzungen mit einem Verkehrsunfall, doch darüber können die Beamten nur müde lächeln. Ein Messer im Rücken ist etwas anderes als das übliche Schleudertrauma; die Kampfesspuren sind eindeutig. Nach einer notärztlichen Versorgung verlässt der Rockerpräsident gegen den Willen des Arztes das Krankenhaus. Gemäß des Schweigegesetzes der Biker macht er gegenüber der Polizei keinerlei Angaben. Trotzdem gelingt es den Beamten, sich langsam in das Geschehene einzuarbeiten.
Die Angreifer achteten zwar darauf, ihre Handys im direkten Umfeld des Tatorts auszuschalten, um den Ermittlern keine Ansatzpunkte zur Identifizierung zu liefern, doch Erhan A. passierte ein weit schlimmeres Missgeschick. Er verlor ein Schriftstück am Tatort. Passenderweise bestätigte das DIN-A4-Blatt seinen Dauerauftrag über 100 Euro an die Justizkasse Berlin. Den Polizeibehörden war bekannt, dass Erhan A. sein Unwesen im Umfeld des Bandidos MC El Centro trieb.
Des Weiteren stellte die Polizei im Inneren des Kia eine 34 Zentimeter lange, blutverschmierte Machete sicher. Ein DNA-Abgleich ergab einen Treffer: Spuren von Christoph H., Mitglied des Bandidos MC. Auch die Aussagen eines V-Mannes aus der Szene bestätigten den Ermittlern, dass es sich bei den Tätern um die ins Visier genommenen Verdächtigen handelte: Männer aus dem Umfeld des Chapters El Centro und des inzwischen zum Präsidenten aufgestiegenen Kadir P. Es folgten Razzien im Clubhaus und in Privatwohnungen, bei denen die Polizei Macheten, Messer, Baseballschläger, ein Samuraischwert, Drogen und Anabolika sicherstellte.
Am 4. Januar 2012, erst 2,5 Jahre später, begann gegen zwei der Beschuldigten dieses Gewaltexzesses der Prozess, der unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen der Polizei am Landgericht in Frankfurt (Oder) stattfand. Wie sich sofort herausstellte, war diese Zeitspanne in der sich rasant verändernden deutschen Rockerszene eine halbe Ewigkeit. Denn die Clubführung hatte aus taktischen Erwägungen inzwischen entschieden, die ehemaligen Todfeinde zu Brüdern zu machen. Täter und Opfer waren auf einmal gemeinsam bei den Berliner Hells Angels aktiv. Die beiden angeklagten 28-Jährigen gehörten als Chicanos zum Tatzeitpunkt noch einem Bandidos-Supporter-Club an. Inzwischen galt einer der beiden, Christopher H., Polizeiexperten als Mitglied der Führungsriege des Hells-Angels-Charters Berlin City. Und dieses Charter wird von Kadir P., dem ehemaligen Präsidenten des Bandidos-Chapters El Centro, geleitet. Die Anklage konnte auf diese Wendungen keine Rücksicht nehmen. Sie lautete weiter auf versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung von Bandido-Supportern an Hells Angels.
Und so lief es wie immer: Alle schwiegen. Dass das
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