Wie die Tiere
wieder in Freiheit.
Länger als vierundzwanzig Stunden soll man einen Menschen rein vom gesetzlichen dings her nicht in Haft halten, dann kann man ihn noch ein, zwei Tage vergessen, weil menschliches Versagen ist bei den Staatlichen immer beliebt, wenn sie zeigen wollen, wir können auch menschlich sein. Aber irgendwann muss man einen Unschuldigen wieder laufen lassen.
Ganz korrekt war das natürlich alles miteinander nicht. Im Grunde hätten sie den Brenner bei ein bisschen gutem Willen schon nach einem halben Tag wieder heimschicken können, weil entlastende Aussage in der Hand gehabt. Ob du es glaubst oder nicht, die Mali hat sich freiwillig gestellt. Und da muss ich dieses Mädchen wirklich einmal loben, ein Unschuldiger im Gefängnis, das hat ihr dann doch nicht gefallen. Bei der Polizei haben sie ihr aber erst geglaubt, wie sie ihnen ganz genau gezeigt hat, wie sie aus den Labelloverschlüssen ihrer Mama die Kekse gebastelt hat.
Ich muss sagen, Hut ab vor der Mali, in diesem Alter hat der Mensch noch ein Gerechtigkeitsempfinden, das ist etwas Wunderbares. Gestraft genug war sie auch, weil die Zeitungen sind natürlich über sie hergefallen, Rottweiler nichts dagegen. Aber nicht dass du glaubst, sie haben das Mädchen verurteilt, ganz im Gegenteil, armes Mädchen mit dem Hundetrauma, hat es geheißen. Zuerst haben die Chefredakteure noch gesagt, warten wir lieber das Foto ab. Aber dann das hübsche Gesicht mit der sexy Narbe, da haben sie gesagt, machen wir «armes Mädchen» und nicht «bösartige Hundekillerin». Vorbereitet hätten sie beide Artikel gehabt, so wie sie bei wichtigen Fußballspielen, die erst knapp vor Redaktionsschluss enden, einen Artikel für Sieg vorbereiten, einen für Weltuntergang.
Und weil ich gerade sage Weltuntergang. Für den Brenner hat es in den nächsten Tagen noch ein paar schöne Überraschungen gegeben.
siebzehn
Aber dass es so was gibt! Jetzt war der Brenner in Freiheit und hat sich immer noch nicht aus seinem Zuhause, sprich
White
Dog,
hinausgetraut. Die ganze Zeit ist er bei der Magdalena gesessen und hat sich nur gerührt, wenn er den Kamillentee zum Mund geführt hat.
Die Magdalena hat ihm das beigebracht, wie gut der Kamillentee ist. Nein, nicht nur wenn krank, Kamillentee immer gut, hat die Magdalena gesagt, und der Brenner hat zugeben müssen, es ist wahr. Kamillentee immer gut. Und wenn ich dir irgendwas mitgeben kann auf deinen Lebensweg, dann merk dir das, Kamillentee schmeckt gut, und du musst ihn nicht mit dem Weinthermometer untersuchen, weil einfache Regel: Wenn du dir die Zunge verbrennst, ist er zu heiß, und wenn er nach Käsesocken schmeckt, ist er zu kalt, und dazwischen ist er genau richtig, das ist wie eine Symphonie, aber nicht aus Tönen, sondern aus Kamillentee.
Der Brenner ist jeden Tag mehr auf den Geschmack gekommen. Er ist mit der Magdalena am Tisch gesessen, sie hat ihre Modezeitschriften angeschaut, und er hat die Magdalena angeschaut, aber eigentlich hat er durch sie hindurchgeschaut wie durch das reinste Gitterbett.
Oder er hat in den Kamillentee hineingeschaut und seine Beobachtungen gemacht. Wie es nach jedem Schluck ein bisschen weniger Tee geworden ist, und wenn die Magdalena ihm nachgeschenkt hat, war die Tasse wieder voll, sehr interessant.
«Tut noch weh?», hat ihn die Magdalena gefragt. Wie sie die Wunde auf seiner linken Wade das erste Mal gesehen hat, ist ihr vor Schreck ein Stöhnen ausgekommen, echtes Mitleid, darüber ist dann der Brenner wieder erschrocken. Weil kommt heute nicht mehr so oft vor, und dann ist man nicht vorbereitet.
Er hat sich am ersten Morgen nicht viel dabei gedacht und beim Frühstück den Verband abgenommen, und dann hat man schon gesehen, dass der Anblick der Wunde ihr ein bisschen an die Nieren geht. Pass auf, sie hat das Nagellackentfernerfläschchen zugeschraubt. Ganz langsam und bedächtig. Und gleichzeitig muss irgendein boshafter Geist mit einem neuartigen, vollkommen geruchslosen Gesichtsfarbenentferner durch das Zimmer marschiert sein, so ist der Magdalena die Farbe abgeronnen.
Ein paar Tage hat sie es dann ohne weiteres akzeptiert, dass aus dem Brenner kein einziges Wort herauszubringen war. Schön langsam ist ihr das aber doch unheimlich geworden, jetzt hat sie es wieder einmal mit einer Frage probiert, sprich: «Tut noch weh?»
Aber der Brenner hat kein Mitleid gekannt und nicht geantwortet. Richtig weh getan hat es sowieso nicht mehr. Er hat auch schon wieder ganz gut gehen
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