Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
ursprünglich auf die Menschheit losgelassen, um seine Freunde zu beeindrucken. Mir war zwar nicht klar, wie der Bambus die Sperre überwunden hatte, aber dass es keine Biotech-Punks gewesen waren, die ihn anfänglich ausgesetzt hatten, wusste ich genau. Und Cortez wusste das auch.
» Hast du Edie oder Pat schon gesehen?«, fragte Cortez seinen Vater. Die beiden wohnten in der Wohnung nebenan.
» Nee«, erwiderte der alte Mann. Ohne ein weiteres Wort ging er fort.
» Hast du eine Bleibe?«, fragte ich Cortez.
Mit glasigen Augen schaute er zu seiner Wohnung hinauf. Er hatte dringend eine Rasur nötig. » Dieser Scheißbambus. Jetzt rächt sich die ganze Sache, jetzt erwischt es mich selber.«
» Ich frage mich, ob er wirklich sein Gutes hat. Er hat Nordkorea nicht davon abgehalten, den Lake Superior zu verseuchen, aber wer weiß? Vielleicht wäre ganz Savannah ohne den Bambus schon zu Staub zerfallen.«
» Keine Ahnung, aber eins weiß ich– wenn ich den Kerl erwische, der in meinem Garten welchen gepflanzt hat, dann wird ihm das verdammt leidtun.«
» Da bin ich ja froh, dass ich es nicht war.« Ich lachte. » Also, hast du was zum Übernachten? Willst du dich bei uns hinhauen?«
» Hey, danke– ja, gerne.«
Colin erwartete uns auf der Veranda. » Habt ihr schon gesehen, was passiert ist?«
» Mit dem Lake Superior? Ja«, antwortete ich.
» Aber habt ihr auch mitgekriegt, wie es in Nordkorea aussieht?«, fragte Colin.
Wir liefen die Verandatreppe hinauf. » Nein, was ist denn da los?«
Colin hielt uns die Fliegengittertür auf und nickte Cortez grüßend zu. » Ausradiert.«
Die Nachrichten zeigten Luftaufnahmen von einer stillen, schwelenden Stadt. Die graue Trümmerlandschaft erinnerte mich an einen gefüllten Aschenbecher.
» Sie haben alle größeren Städte und die militärischen Einrichtungen bombardiert. Ein Teil der nordkoreanischen Truppen ist nach Südkorea eingedrungen, und die kämpfen weiter, aber sonst gibt es nur noch auf dem Land Überlebende.«
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, und meinen Freunden schien es genauso zu gehen. Die Nachricht war erleichternd, aber auch beängstigend. Was mochten diese Überlebenden jetzt durchmachen?
Am unteren Bildschirmrand leuchtete der rote » Neueste Nachrichten«-Balken auf. » Gerade eben ist eine neue Meldung eingegangen«, sagte eine blonde Sprecherin. » Unsere Informanten im Pentagon haben soeben bestätigt, dass alle US -Truppen, die derzeit im Ausland stationiert sind, auf US -amerikanischen Boden zurückbeordert wurden.«
Ihr Militärexperte, ein kahlköpfiger Colonel, dem der rechte Arm fehlte, erklärte, die Truppen seien für diese Art der Mobilisierung ausgebildet worden und sie habe sogar einen Namen: Operation Repatriierung. Die Truppen würden alle schweren Waffen, die sie nicht mitnehmen könnten, zerstören. Anschließend würde man sie darauf vorbereiten, in den ganzen USA Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, falls das nötig werden sollte.
» Ich weiß nicht, ob das gut ist«, sagte Colin, » wenn man davon ausgeht, dass sie tatsächlich zum Einsatz kommen.«
» Schlimmer als die Polizei oder die Schlägertypen vom Zivilschutz können die Soldaten auch nicht sein«, sagte ich.
» Vielleicht werden wir’s ja erleben«, sagte Cortez.
Er schlief in der Küche, zwischen der Theke und dem Küchentisch, denn mein Bett stand im Wohnzimmer, und er sagte, er wolle mir nicht so dicht auf die Pelle rücken. Als ich aufwachte, war er schon weg, aber er hatte einen Zettel hinterlassen: Er wolle so viel wie möglich aus seiner Wohnung retten und sich dann später wieder melden.
Nach dem Frühstück spazierte ich zum Madison Square. Die Sippe kampierte immer noch dort. Ihre Habseligkeiten waren so überschaubar: Macheten, Kochtöpfe. Ein Kind hielt eine alte Actionfigur in der Faust. Soweit ich sehen konnte, hatten sie keinen Anführer. Die meisten dösten auf dem Rasen, und eine Gruppe älterer Männer spielte ein Spiel, bei dem man Steine mit eingravierten Zeichen warf.
» Wo ist denn dein Freund mit den Stöcken?«, sprach das barbusige Mädchen mich an. Sie hatte den gleichen Akzent wie der Mann, mit dem wir gestern gesprochen hatten.
» Zu Hause«, sagte ich. Ich fand, es lohnte sich nicht, diese Antwort genauer zu erläutern.
» Hat er mit den Stöcken gespielt?« Sie zog eine merkwürdige Grimasse, so als sei sie sich nicht bewusst, dass andere ihr Gesicht sehen konnten.
» Nein, das war kein Spiel. Es
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