Wie Du Mir
liebster Treffpunkt mit Agent Paul. Sie lagen nur etwa zehn Autominuten von West-Belfast entfernt, doch es hätten ebenso gut Lichtjahre sein können.
Die Geografie der Paramilitärs war simpel. Ihre Mitglieder bewegten sich kaum außerhalb der ihnen zugeordneten Stadtteile. Den wohlhabenden Süden der Stadt schienen alle Seiten zu meiden.
Agent Paul war schon da. Er saß auf einer Parkbank im Halbschatten einer Reihe von Birken, in der typischen Haltung eines Frierenden, mit übereinandergeschlagenen Beinen, hochgezogenen Schultern und zu Fäusten geballten Händen in den Taschen seines Blousons.
Trotz seiner beeindruckenden physischen Statur vollkommen unauffällig zu sein, das war Agent Pauls große Stärke. Selbst Hugh hatte Mühe, sich ohne optische Stütze seine indifferenten Züge, das kurze dunkelblonde Haar in Erinnerung zu rufen, ein Bild in seinem Kopf entstehen zu lassen. Das ideale Instrument für den Special Branch. Genauso wie seine unterschwellige Vertrauenswürdigkeit, eine seltene Eigenschaft unter Terroristen. Alles, was noch zum Banker fehlte, waren Nadelstreif und Brille.
Sein in der Luft hängender Fuß wippte auf und ab, während er das leere Spielfeld vor ihm beobachtete. Hugh wusste, dass Paul ihn schon lange entdeckt hatte, trotzdem wandte er sich hartnäckig von ihm ab, als sähe er ihn nicht kommen. Eine dieser Angewohnheiten. Nur selten stellte Paul Blickkontakt her. Ihre Gespräche führte er beiläufig, im Grenzbereich zum Murmeln, so als wäre Hugh bloß Zeuge seiner Selbstgespräche. Keines der Fotos, die Hugh ihm in den zwei Jahren ihrer Zusammenarbeit vorgelegt hatte, schien ihm mehr als einen Seitenblick wert zu sein. Mehr brauchte er auch nicht. Seine Informationen waren stets auf dem Punkt, seit ihrem ersten Treffen.
Paul war einer dieser Anrufe über Leitung 220 gewesen, die Durchwahl für alle, die etwas über ihren Nachbarn, ihren Arbeitskollegen oder unliebsam gewordenen paramilitärischen Kameraden zu erzählen wussten. Diese Halbwelt hatte nichts mit James Bond zu tun. Eine Masse an Informanten verschiedenster Intelligenzstufen ersetzte hier die Klasse ausgebildeter Geheimagenten. Verbitterte Ehefrauen, eifersüchtige Konkurrenten, Adrenalinjunkies. Sie und ihre Geldgier, ihr Neid und ihr Hass waren es, die den Paramilitärs letztendlich den Garaus machen würden.
Siebzig Prozent dieser Informationen waren völlig unbrauchbar, zwanzig Prozent waren Versuche der Provos, die Sicherheitskräfte in eine Falle zu locken. Der Rest verteilte sich auf kleine Teile im großen Puzzle oder Fährten, die schnell kalt wurden, und ganz selten riefen Leute wie Paul an: Informationsoffizier, unterrichtet über mindestens dreißig Prozent aller Operationen in West-Belfast, ausgerüstet mit Namen und Daten sowohl von Tätern als auch Opfern. Einen Stein im Brett bei Brian Hanlon und somit beinahe unantastbar. Perfekt.
Paul hatte ihn noch nie enttäuscht. Er forderte viel, lieferte aber nie zu wenig und war absolut zuverlässig.
Er brauche Geld für einen Krankheitsfall in seiner Familie, hatte er Hughs Frage nach seinen Gründen gleich zu Beginn beantwortet; die IRA unterstütze ihre Leute zwar mit schönen Worten, doch die machten keinen gesund.
Das war natürlich nicht die ganze Wahrheit. Dieser Hunger nach Anerkennung, Macht und dem Wissen, Schicksale mitbestimmen zu können. Hugh hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung in Paul rumoren gespürt, so wie in sich selbst, und keine weiteren Fragen gestellt.
Für ihn zählte das Ergebnis. Beim Weg dahin war er nicht wählerisch, denn dass die Macht des Gesetzes über die Terroristen siegen würde, diese Illusion hatte ihn früh verlassen. Und er daraufhin den CID, schon Ende der 70er. Dort gab es zu viel Bürokratie, zu wenig Effektivität. Terroristen hielten sich nicht an das Regelwerk der Polizei. Sie verstanden nur ihre eigene Sprache: Gewalt und schmutzige Tricks. Wer fair zu ihnen sein wollte, wurde zuerst verarscht und danach erledigt.
Sein guter alter Freund Will war das beste Beispiel dafür. Hatte sich ständig in dieses Korsett von Moral, dem Befolgen von Regeln und Prozeduren und Verständnis gezwängt und stand jetzt alleine da. Ohne Jenny, ohne Karriere, ohne Unterstützung von seinen ach so korrekten Kollegen.
Jennys Tod war zwar von einer Einheit im CID untersucht worden. Doch keiner außer Will hatte was gesehen, und der hatte das meiste auch nur gehört, und so waren alle Spuren schnell im Sand verlaufen.
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