Wie ein Blütenblatt im Sturm
genau beobachten, so daß Ihre Chancen, etwas anzustellen, sehr gering sind, sollte ich mich mit meinem Urteil irren.« Sie legte die Hand auf den Türknauf. »Leben Sie wohl, Oberst von Fehrenbach. Ich denke, wir sollten uns nicht wiedersehen.«
Zu ihrer Überraschung war er plötzlich bei ihr und blickte ihr ins Gesicht, als wollte er ihr Aussehen in seiner Erinnerung speichern. »Sie sind wirklich eine sehr tapfere Frau.« Dann hob er ihre Hand und küßte sie -
nicht auf romantische Art, sondern mit einer Art trauri-gen Respekts.
Als er ihr die Tür aufhielt, schaffte sie es, mit erhobenem Kopf hinauszugehen. Doch nachdem die Tür wieder zu war, lehnte sie sich an die getäfelte Wand. Sie war so unglaublich müde und ausgelaugt…
Endlich richtete sie sich wieder auf, straffte die Schultern und ging den Flur entlang. Hinter der Tür saßen vier Soldaten in friedlichem Kartenspiel. Als sie eintrat, stolperten sie hastig auf die Füße. Sie wirkten so schrecklich jung. Hélène lächelte sie an, und der junge Leutnant errötete und senkte den Kopf.
Erleichtert, daß ihr nichts passiert war, trat Rafe auf sie zu. »Ist alles gut gelaufen, Madame Sorel?«
Seufzend antwortete sie: »So gut, wie man es erwarten konnte.«
In seiner kargen Wohnung lief Karl von Fehrenbach unruhig herum, nahm Gegenstände auf und stellte sie wieder hin, zog ein Buch von Fichte aus dem Regal, schob es unbeachtet wieder zurück, nahm dann eines von Ver-gil und schlug den Band irgendwo auf. »Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori«. Alles besiegt die Liebe: ergeben auch wir uns der Liebe.
Er knallte das Buch zu und schob es so heftig ins Regal zurück, daß der Ledereinband zerkratzte.
Dann lehnte er die Stirn an die Bücherrücken und dachte daran, wie Hélène Sorel eben hier an dieser Stelle gestanden hatte, so süß und weiblich. War sie ein Engel, der vom Himmel gekommen war, um ihn zu erlösen, oder kam sie aus der Hölle, um den Rest seiner Seele zu holen? Was immer diese Frau sein mochte, sie hatte sehr viel Mut, sich einer solchen Zurückweisung auszusetzen.
Er ging wieder zu dem Bild von Elke und Erik, nahm es auf und betrachtete die geliebten Gesichter. Seine Frau, die die Gabe der Fröhlichkeit besessen, sein Sohn, der seine Größe und das gute Wesen seiner Mutter geerbt hatte. Elke hatte ihm das Bild drei Monate vor ihrem Tod geschickt. Sie waren in ihrem Haus verbrannt.
Von Fehrenbach hatte gebetet, daß sie schon durch den Qualm und nicht erst in den Flammen gestorben waren.
Unerträglicher Kummer quoll in ihm auf und riß alle Schutzwälle nieder, die er errichtet hatte, um den Schmerz einzudämmen. Voller Verzweiflung schlug er die Bibel auf und blickte in der Hoffnung auf Hilfe hinein.
Der Vers, der ihm entgegensprang, lautete: »Ihre Sünden, derer viele, sind vergeben, denn sie hat viel geliebt.«
Wenn es eine Botschaft Gottes war, dann konnte er sie nicht ertragen. Er sank neben dem brokatbezogenen Sessel auf die Knie, vergrub den Kopf in seinen Armen und ergab sich den krampfartigen, qualvollen Schluchzern eines Mannes, der nie zu weinen gelernt hatte.
Kapitel 18
IESER BESUCH BEI Le Serpent war sehr kurz. Den D Engländer kümmerte es nicht mehr, daß sein ge-fürchteter Gastgeber maskiert war; er wußte nun, wem er diente, und zur richtigen Zeit würde er es enthüllen.
»Das Schießpulver ist in der Kammer untergebracht?«
fragte Le Serpent nun barsch.
»Ja. Ich habe es nach und nach über mehrere Tage hin-eingebracht, und es ist nicht wahrscheinlich, daß es jemand durch Zufall entdeckt. Selbst wenn jemand in das Kämmerchen hineinsieht, findet er nur Kisten, die keinen Verdacht erregen werden.«
»Sehr gut.« Der Maskierte nickte zufrieden. »Donnerstag ist es soweit.«
»Übermorgen?« Der Engländer war entsetzt; plötzlich schien ihm der Zeitpunkt viel zu nah.
»Genau. Das Pulver muß so pünktlich wie möglich um vier Uhr nachmittags losgehen. Die Kerze, die ich Ihnen gegeben habe, müßte acht Stunden brennen, also entzünden Sie sie gegen acht Uhr morgens. Ich vertraue darauf, daß das keine Probleme mit sich bringt.«
Der Engländer dachte nach. »Es könnte schwierig werden. Ich bin in den letzten Tage eher durch Abwesenheit aufgefallen, und es könnte verdächtig wirken, wenn ich so früh in der Botschaft bin.«
»Ich bin nicht an den Problemen interessiert, die Ihr Privatleben verursacht«, sagte Le Serpent kalt. »Ich zahle für das Ergebnis. Wenn die Kerze erst einmal
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