Wie ein Blütenblatt im Sturm
beide Särge auf dem Ashton-Fami-liensitz in Leicestershire wieder bestattet. Rafe hatte mit eigenen Händen Osterglocken auf dem kleineren Grab ge-pflanzt, denn er hatte Margot im Frühling kennengelernt, und Osterglocken erinnerten ihn stets an sie. Aber das würde er ihr bestimmt nicht erzählen. Was er getan hatte, war nicht nur rührselig und sentimental, sondern auch im Licht der Tatsachen ziemlich albern.
Er fragte sich, wo Margot sich wohl aufgehalten hatte, als er in der Gascogne gewesen war. War sie verletzt gewesen? Eine Gefangene? Hätte er sie finden und nach Hause bringen können, wenn er nach ihr gesucht hätte? Aber all das war nicht mehr relevant, also antwortete er nur: »Es gab sonst nichts, was ich für dich tun konnte. Es war zu spät für Entschuldigungen.«
Nach einer langen Pause stellte sie die Frage: »Warum hieltest du Entschuldigungen für notwendig?«
»Natürlich weil ich mich so unmöglich benommen ha-be.« Er zuckte die Schultern. »Je mehr Zeit verstrich, desto schlimmer kam es mir vor.«
Maggie atmete tief ein. Sie hätte wissen müssen, daß dieses Gespräch nicht nach Plan laufen würde. Rafe Whitbourne war immer schon in der Lage gewesen, ihre wunden Punkte zu finden. Diese Sensibilität war ihr in der Jugend und frisch verliebt sehr willkommen gewesen, nun war es aber nur unangenehm und ärgerlich. Sie wollte auf keinen Fall vor seinen Augen die Kontrolle über sich verlieren.
Als sie sicher sein konnte, daß ihre Stimme wieder normal klang, blickte sie ihn direkt an. »Ich bin dir also etwas schuldig.« Mit einem Anflug von Zynismus überlegte sie, ob er das ausnutzen würde, um sie zum Bleiben in Paris zu überreden.
Doch so war er nicht. »Du bist mir nichts schuldig. Ich habe es genauso für mich getan, denke ich.«
Seine ruhige Lossprechung erschütterte sie, wie nichts anderes es gekonnt hätte. »Also gut«, seufzte sie resigniert. »Du kannst Lord Strathmore sagen, daß ich meine Arbeit hier fortführe, bis die Konferenz zu Ende ist. Ist das in Ordnung?«
Er unterdrückte weise jede Triumphäußerung. »Sehr gut. Um so mehr, als mehr auf dem Spiel steht, als nur normale Informationsbeschaffung. Lord Strathmore hat eine besondere Aufgabe für dich.«
»Oh?« Maggie kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Was will er denn?«
»Er hat Andeutungen bekommen, daß ein Attentat auf einen der wichtigen Herrscher verübt werden soll. Er möchte, daß du so gründlich und schnell wie möglich Nachforschungen anstellst.«
Maggie runzelte die Stirn. Ihre persönlichen Überlegungen waren vergessen. »Vor knapp drei Wochen wurde ein Plan aufgedeckt, der den Zaren, den König und Wellington erledigen sollte. Könnten die Gerüchte dieser Quelle entspringen?«
»Nein. Lucien wußte davon, und dies hier scheint etwas anderes zu sein. Was diese Verschwörung so gefährlich macht, ist die Tatsache, daß sie offenbar in den höchsten diplomatischen Kreisen der Konferenz ihren Ursprung hat. Nicht nur, daß sie schwerer aufzudecken sein wird, die Attentäter haben auch viel besseren Zugang zu ihren Opfern.« Rafe griff in seinen Rock und zog einen versiegelten Brief hervor. »Lucien schickt dir das, um die Sache zu erklären.«
Maggie nahm den Brief und ließ ihn verschwinden.
»Hast du gelesen, was er geschrieben hat?«
Seine Brauen hoben sich. »Natürlich nicht. Er ist an dich gerichtet.«
»Du wirst niemals ein Spion.«
Rafes Stimme war samtig, aber zum ersten Mal ließ er Emotionen durchschimmern. »Du hast recht. Ich könnte mich in Betrug und Täuschung niemals mit dir messen.«
Maggie setzte sich ruckartig in ihrem Stuhl auf. Die Geister aus der Vergangenheit schwebten in dem Zimmer, und einen Augenblick schien die Wut aus ihr herausbre-ehen zu wollen. Doch jahrelange harte Übung machte sich bezahlt, und sie schaffte es, sich zu beherrschen. »Nein, das kannst du bestimmt nicht«, sagte sie beißend. »Als deine Feen-Patin ihre Hand über die gräfliche Wiege gehalten hat, waren ihre Gaben Starrsinn und Selbstherr-lichkeit.«
Ihre Blicke verschränkten sich - zwei zornige, leidenschaftliche Menschen, die entschlossen waren, keinen Schritt nachzugeben. Rafe gewann zuerst seine Selbstbeherrschung wieder, wahrscheinlich weil er sie mehr brauchte als sie ihn.
Er tat die Beleidigung einfach ab und sagte: »Das mag durchaus sein - ich habe auch nie behauptet, ich hätte einen besonders edlen Charakter. Um auf das Geschäftliche zurückzukommen, meinst du, daß Lucien zu Recht
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