Wie ein Blütenblatt im Sturm
Mann, den ich je kennengelernt habe, mehr Energie und eine größere Weitsicht. Einen wie ihn sehen wir wohl nicht so schnell wieder.«
»Gott sei Dank«, antwortete sie, unfähig, ihre Bitterkeit zu unterdrücken.
Roussaye beugte sich vor und fixierte sie intensiv mit seinem Blick. »Nach der Revolution hat jede europäische Nation gegen uns, Frankreich, die Hand erhoben. Wir hätten vernichtet sein sollen, aber wir waren es nicht. Bonaparte gab uns unsere Stärke und den Stolz zurück. Von überall brachten wir Siege mit nach Hause.«
»Und später hat Ihr Kaiser ganze Armeen verloren.
Hunderttausende von Soldaten, zahllose Zivilisten star-ben für den Ruhm Frankreichs. Er hat einmal gesagt, daß eine Millionen Leben ihm nichts bedeuteten«, gab Maggie zurück. »Als Bonaparte von Elba zurückkehrte, gehörten Sie da zu denen, die Ihren Eid Louis gegenüber vergaßen und zum Kaiser überliefen?«
Nach einer langen Pause antwortete der General ruhig.
»Ja.«
Sie atmete tief ein und zwang sich zur Beherrschung.
»Denken Sie, daß es richtig war?«
Seine Antwort traf sie überraschend. »Nein. Ich kann nicht sagen, daß es richtig war, aber das hat keine Bedeutung. Napoleon war mein Kaiser, und ich wäre ihm auch in die Hölle gefolgt.«
»Dann ist Ihnen Ihr Wunsch ja erfüllt worden. Es heißt, Waterloo wäre der Hölle schon recht nah gekommen.«
»Der Kaiser war nicht mehr derselbe wie früher, und fünfzigtausend Soldaten mußten dafür bezahlen. Vielleicht hätte ich einer von ihnen sein sollen, aber Gott hatte andere Pläne für mich.« Roussayes Miene entspannte sich ein wenig. »Obwohl es eine Gnade ist, die ich nicht verdiene, habe ich festgestellt, daß es auch ein Leben nach dem Krieg gibt.«
Eine rätselhafte Bemerkung für einen geborenen Krieger! Maggie blieben weitere Kommentare erspart, da zwei andere Personen das Zimmer betraten. Als sie aufschaute, entdeckte sie Rafe in Begleitung einer ausgesprochen hübschen kleinen Frau, die sich in anderen Umständen zu befinden schien. Roussaye erhob sich, und ein Lächeln veränderte sein Gesicht.
»Magda, meine Liebe«, sagte Rafe, »erlaube mir, dir Madame Roussaye vorzustellen. Sie hat mir die Gemälde unseres Gastgebers gezeigt. Wir sind beinahe miteinander verwandt, denn Sie stammt aus Florenz, und ihre Familie ist mit der meiner italienischen Großmutter verbunden.«
Die schwarzhaarige Frau grüßte Maggie freundlich.
Wenn man von den Blicken, die die Roussayes einander zuwarfen, ausging, war leicht zu schließen, daß dies die Gnade war, von der der General gesprochen hatte; die innere Verbindung zwischen den beiden war fast greifbar.
War Roussaye genug Bonapartist, um sein persönliches Glück aufs Spiel zu setzen?
Dummerweise war das zu befürchten.
Man begann, unverfänglich zu plaudern. Alle vier teilten das Interesse an der Kunst, und bevor sich die Paare trennten, verabredete man sich, in drei Tagen gemeinsam einen Besuch im Louvre zu machen.
Zurück im Ballsaal, in dem gerade ein Walzer gespielt wurde, zog Rafe Maggie in die Arme und auf die Tanzflä-
che, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Als sie über das Parkett wirbelten, erkannte Maggie reumütig, daß sie mit ihrer Zurückhaltung recht hatte. Obwohl er sie im perfekten Abstand von sich hielt, war der Walzer an sich zu erotisch, um noch schicklich zu sein. Sie war sich seiner Berührung nur allzu bewußt.
Nicht ganz so begeistert war sie, als sie begriff, daß er sie vor allem zum Reden auf den Tanzboden geführt hatte. »Was denkst du über Roussaye?«
Sie zögerte drei ganze Umdrehungen, bevor sie antwortete. »Er ist Frankreich und dem Kaiser treu ergeben, und ich denke, er ist durchaus in der Lage, ein Komplott zu schmieden, um Napoleon auf den Thron zu-rückzuverhelfen. Er hat das beste Motiv von unseren drei Verdächtigen, dazu kommen Intelligenz und die Überzeugung, sein Ziel zu erreichen.«
»Aber du hast Zweifel«, schloß Rafe.
Maggie seufzte. »Nur, weil ich den Mann mag. Er hat seinen Rang allein durch Verdienst und Leistung erhalten. Ab-gesehenvon militärischem Geschick, besitzter Empfindsam-keit und Geschmack. Ich wünschte, Varenne wäre unser Erzschuft, doch bei Roussaye ist es wahrscheinlicher.«
»Wenn ja, dann könnte meine neugefundene Cousine in kurzer Zeit Witwe werden«, erwiderte Rafe mit ernster Miene. »Da Roussaye bereits seinen Eid Louis gegenüber gebrochen hat, wird der kleinste Hinweis darauf, daß er in Ränke verwickelt ist, ihn
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