Wie ein boser Traum
Damals war sie angewidert gewesen von seinen Lügen. Ihr gesamtes Dasein war auf den einen Augenblick fokussiert, als sie ihn in ihrem Schlafzimmer vorgefunden hatte. Alles andere hatte sie ausgeblendet. War das ein Fehler gewesen?
Die scheinbar unbedeutenden und unzusammenhängenden Bemerkungen, Gerüchte und Gesprächsfetzen, die sie an diesen Punkt gebracht hatten, mochten für sich betrachtet unlogisch sein. Wenn man aber alles miteinander kombinierte, wurde sie von Zweifeln überwältigt.
Hatten die anderen Unrecht?
Oder sie?
Dr. Brown hatte vermutet, dass sie sich in der Weise an jene Nacht erinnerte, wie sie es selbst sehen wollte. Aber sie hatte ihm nicht geglaubt. Er war schließlich nicht dabei gewesen, sie schon.
Hatte er Unrecht? Oder sie?
Austin hatte angedeutet, dass Emily in jener Nacht nicht das Opfer hatte sein sollen, aber Heather hatte doch überhaupt keine Feinde gehabt. Hatte sie selbst welche? Es gab nur einen Aspekt in Heathers Leben, bei dem es überhaupt einen Ansatzpunkt gab. Die Theorie war lächerlich, aber Emily musste ganz sichergehen. Sie brauchte Antworten.
Sie hörte beiläufiges Gerede und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Parkplatz vor Higgins’ Autowerkstatt zu. Sie saß in ihrem Auto und beobachtete die Angestellten, die kurz miteinander plauderten, dann in ihre Wagen stiegen und wegfuhren.
Emily wartete, bis Marvin Cook bei seinem Pick-up angekommen war; dann stieg sie aus. »Marv!« Er sah auf, und sie winkte ihm zu.
Sie trafen sich auf halbem Wege zwischen seinem Pick-up und ihrem Auto. Sie umarmten einander, wobei sie wahrnahm, dass Clint Austin zögernd an der Bürotür der Werkstatt stehen geblieben war.
Sie entzog sich Marvins Umarmung und lächelte ihrem alten Freund zu. »Können wir kurz reden?«
Ein vertrautes Lächeln zog über sein Gesicht. »In deinem oder in meinem Wagen?«
»Wie wär’s mit meinem?« Sie zeigte zu ihrem Malibu. »Ich hatte den Motor die ganze Zeit laufen. Deshalb ist es schön kühl drinnen.«
»Wir könnten ein Bier trinken gehen.«
»Vielleicht ein anderes Mal.« Sie lächelte, um die Lüge zu kaschieren. »Ich hab nur kurz Zeit.«
Marv öffnete ihr die Tür; sie rutschte hinter das Steuer. Dann ging er hinüber zur Beifahrerseite. »Hübscher Wagen.« Er sah sich das Wageninnere genau an. »Sieht brandneu aus.«
Ihre Eltern hatten Emily gedrängt, ihren alten Wagen gegen einen neuen auszutauschen. Sie bestanden auf einem Auto mit besonderer Sicherheitsausstattung, da sie dafür bekannt war, ihre Schlüssel im Wagen einzuschließen und ihr Handy dort zu vergessen.
Damit übertrieben sie, wie üblich, ihre Fürsorglichkeit.
»Danke«, antwortete Emily auf Marvins Kompliment. Sie musste zum Punkt kommen, bevor er anfing, ihr Fragen zu stellen. Außerdem war es besser, ihn gleich zu fragen, was er über Fairgate wusste. Marv hatte sein ganzes Leben hier verbracht; er wusste mit Sicherheit etwas. »Marv, was weißt du über Sidney Fairgate?«
Er blies die Wangen auf. »Psycho-Sid würdest du bestimmt nicht kennenlernen wollen.« Damit sagte er ihr nichts Neues. »Das ist ein ganz übler Bursche.«
Sie umfasste das Steuerrad mit einer Hand und ballte die andere auf dem Schoß. »Würdest du sagen, dass er jemandem körperlichen Schaden zufügen würde, um zu bekommen, was er will?«
Marv erwiderte ihren Blick. »Garantiert. Emily, halt dich von Sid fern. Der Kerl ist völlig durchgeknallt.«
Wohinein war ihr Vater da nur geraten?
»Ich war gestern mit den Mädels zum Mittagessen.« Sie verzog die Lippen zu einem Lächeln und näherte sich
dem wirklichen Grund für dieses unvorbereitete Gespräch. »Mit Cathy und Megan und Violet.«
Er schüttelte den Kopf. »Kaum zu glauben, dass es schon zehn Jahre her ist, dass ihr euren Schulabschluss gemacht habt. Zwölf bei mir.«
»Ja.« Durchatmen. Ganz ruhig bleiben. » Ach so, und in der Schule war ich auch. Ich habe Justine getroffen.«
»Ja, sie ist immer noch hier.«
Eigenartig, normalerweise erweckte es bei Männern eher Interesse, wenn Justine erwähnt wurde. »Misty Briggs ist auch immer noch da, habe ich festgestellt.«
Marv zog ein Gesicht. »Die Frau ist so eigenartig wie eh und je.«
»Das stimmt«, pflichtete Emily ihm bei und lachte, ohne dass in ihrem Lachen auch nur ein Anflug von Humor lag. »Sie hat mir die eigenartigsten Dinge erzählt.«
»Ach ja?«
Endlich kam sie zum Punkt.
»Misty hat mir eine hanebüchene Geschichte erzählt – dass Austins Alibi
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