Wie ein boser Traum
Handschuhe getragen. Es gab einfach nichts anderes, das einen Sinn ergeben hätte.
Die Geschworenen hatten die Beweise gewürdigt – so mager sie waren und sosehr sie auf Indizien beruhten – und Clint für schuldig erklärt.
Damit hätte die Geschichte zu Ende sein sollen.
Aber sie war es nicht.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken an damals. Konnte sie denn nirgends Ruhe finden? Wie sollte sie so weiterleben?
Noch einmal klopfte es.
»Emily?«
Clint Austin.
Warum war er gekommen? Woher wusste er, dass sie hier war?
»Ich muss mit dir reden.«
Sie sprang aus dem Bett und dachte zugleich an die vielen Gründe, warum sie nicht zur Tür gehen sollte. Sie ging näher zur Tür, neigte den Kopf, um besser hören zu können. »Was willst du?« Er sollte sagen, was er zu sagen hatte, und dann wieder gehen. Sie wollte ihn nicht sehen … nicht gerade jetzt, sie war zu durcheinander, zu verletzlich.
»Ich muss mit dir reden, aber nicht durch die Tür. Und ich werde nicht gehen, bevor ich gesagt habe, was ich zu sagen habe.«
Emily fügte sich ins Unvermeidliche. Sie zog die Kette zurück und öffnete die Tür.
Seine eindringlichen, graugrünen Augen blickten forschend in ihre. »Alles in Ordnung?«
»Nein, gar nicht.« Das hätte er eigentlich wissen sollen. Sie wollte ihn wieder aus ihrem Zimmer haben. Dass er hier vorbeigekommen war, dass sie die Tür geöffnet hatte – alles das war irgendwie unnatürlich.
»Ich bin an deinem Haus vorbeigefahren.«
Mein Gott, betete sie, hoffentlich hat er nicht angehalten!
Er zuckte mit den breiten Schultern. »Dann hab ich mich daran erinnert, dass Ray erwähnte, Fitzpatrick habe dich hier abgesetzt.«
»Du hast mich gefunden.« Sie wollte ihn nicht länger als unbedingt nötig anschauen. Und ganz sicher wollte
sie seine Stimme nicht hören. Im Augenblick war ihr diese Nähe und alles, was sich daraus ergeben könnte, einfach zu viel. Erst musste sie ihre Gefühle ordnen.
»Was willst du, Austin?«
Er sah ihr direkt in die Augen. Sie hätte zur Seite blicken sollen, aber sie konnte nicht.
»Dir danken.«
»Dank mir lieber nicht«, sagte sie abwehrend. Sie konnte dieses Gespräch unmöglich führen. »Damit du es weißt, ich hab das Feuer gelegt.«
Er lachte in sich hinein – es war ein kräftiges, kehliges Geräusch, das tief in seiner Brust rumorte und sie wieder einmal in eine Anspannung versetzte, die ihr nur allzu vertraut war. »Natürlich – allerdings frage ich mich, warum du mich gerettet hast, wenn du selbst das Feuer gelegt hast.«
»Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.«
»Du weißt, dass ich Heather nicht umgebracht habe. Du warst da. Du weißt es.«
»Ich kann jetzt darüber nicht sprechen.« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. Er drückte mit der Hand dagegen, um sie offen zu halten.
»Ich wollte ihr helfen. Ich hätte weglaufen können, aber ich tat es nicht.«
»Geh weg.« Sie konnte das nicht … nicht jetzt. Sie hatte das alles schon früher gehört, als er seine Aussage gemacht hatte. Und vor nicht einmal fünf Minuten hatte sie dieselben Erwägungen angestellt.
»Denk drüber nach, Emily«, ermahnte er sie, eher sie ihm die Tür vor Nase zuschlagen konnte. »Das bedeutet, dass ihr Mörder immer noch da draußen ist. Darum ging es in der letzten Nacht. Jemand will mich tot sehen.
Dass du mir geholfen hast, könnte dich in große Gefahr bringen.«
»Geh! Bitte.« Ihr Hals schnürte sich zu, ihr Magen drehte sich um. Bitte mach, dass er geht.
» Ich sage die Wahrheit«, sagte er eindringlich. »Denk drüber nach, und du wirst dich daran erinnern, was wirklich geschehen ist. Ich habe sie nicht getötet. Du brauchtest nur jemanden, den du außer dir selbst beschuldigen konntest.«
Sie knallte die Tür zu. Diesmal unternahm er nichts dagegen.
Sie wollte nur, dass dieser letzte Satz aufhörte, in ihrem Kopf nachzuhallen. Wieso sollte sie im Unrecht sein?
Das würde bedeuten, dass er wirklich der rettende Held gewesen war, der zu sein er immer behauptet hatte. Ein unschuldiger Kerl, der nebenan gearbeitet hatte und angelaufen war, nachdem er einen Schrei gehört hatte. Ein Unschuldiger, der zehn Jahre seines Lebens in einem der übelsten Gefängnisse verloren hatte.
Und wie für den ganzen Albtraum, so trüge sie auch dafür die Schuld.
20
Carriage Avenue 125
21.45 Uhr
Violet Manning-Turner war eine berühmte Gastgeberin. Ihre Partys waren noch monatelang später Gesprächsthema. Niemand konnte so
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