Wie ein dunkler Fluch
zurückweichen. Nicht in dieser Sache.
»Das ist doch selbstverständlich, Grace«, sagte Worth in leicht vorwurfsvollem Ton. »Von Ihnen beiden« – er blickte von ihr zu McBride und wieder zurück – »erwarte ich, dass Sie sich an die Regeln halten. Die derzeitigen Umstände rechtfertigen kein regelwidriges Verhalten. Bis wir den Kerl gefasst haben, befinden wir uns in einer außergewöhnlichen Lage, aber sie ist« – er sah McBride kritisch an -, »ich wiederhole es, kein Freibrief für irgendetwas.«
McBride stand auf und blickte wieder in Vivians Richtung, was sie nicht ignorieren konnte. »Ich warte draußen.«
Irritiert, dass er einfach den Raum verließ, machte sie Anstalten, ihm zu folgen. Verdammt. Jedes Mal, wenn sie sich zur Wehr setzte, bekam sie Angst, zu weit gegangen zu sein. Jetzt, da der Täter mit weiteren Aufgaben – anders ausgedrückt: Opfern – drohte, war es noch wichtiger, dass McBride kooperierte.
Wie sollte sie ihn denn auf Linie halten, ohne dass seine schlechten Seiten zum Vorschein kamen? Sie war sich sicher zu wissen, welche Option er vorziehen würde, aber das konnte er vergessen. Sie dachte ja gar nicht daran, seinetwegen ihre Karriere zu gefährden. Dass sie sich einmal gegen Worth gestellt hatte, war zum Wohle von Alyssa Byrne geschehen, nicht wegen Ryan McBride.
Ein schmaler Grat – auf dem sie einfach den richtigen Weg finden musste.
»Wir müssen kurz miteinander reden, Grace«, sagte Worth und hielt sie auf. »Schließen Sie die Tür.«
Eine andere Art von Anspannung überkam sie. Sie schloss die Tür, ging zurück und stellte sich vor seinen Schreibtisch. Sich hinzusetzen kam gar nicht in Frage. Ungeduldig tippte sie mit dem Fuß auf den Boden. Sie musste hier raus und McBride besänftigen. Aber vorher würde sie sich bestimmt von Worth anhören müssen, warum sie seine Anweisungen in McBrides Beisein in Frage gestellt hatte. Unglücklicherweise war sie ihm in dem halben Jahr, in dem er ihr Vorgesetzter im Birmingham-Büro war, nicht zum ersten Mal auf die Füße getreten. Wohl kaum der beste Weg, ihre Karriere voranzutreiben. Das war ihr schon klar, aber ihre Entschlossenheit
und ihr Ehrgeiz kamen ihrer Bescheidenheit und oft auch ihrem gesunden Menschenverstand immer wieder in die Quere.
Eine weniger als »gute« Leistungsbeurteilung war schädlich bei einer Versetzung oder Beförderung.
»Ja, Sir?« Dass er sie dastehen und schmoren ließ, zerrte enorm an ihren Nerven.
»Zunächst einmal, nur dass Sie es wissen: Alyssa Byrne ist wohlauf. Die Ärzte haben keine Anzeichen für körperliche Gewaltanwendung oder Missbrauch gefunden. Ihr wurde ein Beruhigungsmittel verabreicht, aber das verwendete Medikament war für Kinder geeignet. Bislang kann sie sich an nichts erinnern, nachdem sie vor der Schule aus dem Auto ausgestiegen ist.«
»Könnte das an dem Medikament liegen?« Erinnerungslücken waren nichts Ungewöhnliches nach einer längeren Betäubung oder Sedierung. Vielleicht würden sie nie eine Beschreibung ihres Entführers bekommen – selbst wenn das Mädchen einen Blick auf den Täter erhascht hatte.
»Möglicherweise.« Er stieß einen langen, etwas gequälten Seufzer aus, der anzeigte, dass er gleich zum wahren Anliegen kommen würde. »Ich werde Ihnen angesichts dessen, womit Sie es hier zu tun haben, den mangelnden Respekt mir gegenüber dieses Mal durchgehen lassen.«
Sie empfand eine gewisse Erleichterung; zugleich fühlte sie sich auch etwas schuldig, weil ihr Schweigen wie eine stumme Duldung von McBrides Herabsetzung gewirkt haben musste. Er war zusammen mit ihr nach Birmingham gekommen und hatte geholfen, das Mädchen zu retten. Aber wenn er außer Kontrolle geriet und die
Sache schiefging, stand ihre Karriere auf dem Spiel. Das konnte sie einfach nicht zulassen. Das Bureau war ihr Leben. Sie würde nicht alles aufs Spiel setzen, wofür sie gearbeitet hatte. Es war nötig gewesen, klare Grenzen zu fordern.
»Danke, Sir. Ich wollte wirklich nicht respektlos sein, es ist nur …«
Er hob abwehrend die Hand. »Ist schon gut.« Dann stemmte er die Hände auf den Schreibtisch und verschränkte sie, als wollte er gleich beten. »Quantico hegt noch immer die Befürchtung, dass McBride irgendwie hinter der ganzen Geschichte stecken könnte.«
McBride war enorm reizbar, das gab sie gerne zu. Seine Verlässlichkeit und seine Art zu denken waren ohne Frage zweifelhaft. Aber dass er der böse Bube sein sollte, war schlicht unrealistisch. »Sir, ich
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