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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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Meine Eltern sind so stinkreich, und ab und zu vergesse
ich, dass es nicht für jeden selbstverständlich ist, immer
sofort das kaufen zu können, was man sich gerade so wünscht.«
    Sie sah mich an und wurde rot. »Sorry«, murmelte sie. »Ich
wollte dir nicht auf die Füße treten.«
    »Schon okay. Du hast ja recht. Meine Mutter hatte immer nur
wenig Geld. Aber du kannst schließlich nichts dafür, dass es bei
euch anders ist. Ein schlechtes Gewissen musst du deswegen
also wirklich nicht haben.«
    Wie hatte der Direktor es zu meiner Begrüßung gesagt? Es
sei ein großes Privileg, dass ich aufgrund meiner sportlichen
Leistungen in seine Schule gehen dürfe. Der Kakao schmeckte
plötzlich bitter. Es gab nichts ohne Gegenleistung.
    »Alles kann man sich für Geld auch nicht kaufen«, konterte
Tom. »Bernges zum Beispiel wird vermutlich immer im Rollstuhl
sitzen, da hilft ihm aller Reichtum der Welt nicht.«
    Dankbar sah ich Tom an. Es war lieb von ihm, wie er versuchte,
die Situation zu retten. Trotzdem glaubte ich, dass er
nicht wirklich wusste, wovon er sprach.
    Es war immer das Geld, das uns gefehlt hatte. An allen Ecken
und Enden. Auch wenn meine Mutter die Schuld für ihr Unglück
stets irgendwelchen Männern in die Schuhe geschoben
hatte, war ich fest davon überzeugt, dass es uns besser gegangen
wäre, wenn wir reich gewesen wären. Die Welt war käuflich, das
hatte ich schon früh gelernt.
    Ich holte tief Luft. »Und wenn einer von euch beiden mich
im Schwimmen besiegen will, müsst ihr trainieren. Da hilft euch
euer Reichtum gar nichts. Ich bin nämlich unbestechlich.« Ich
versuchte ein Grinsen.
    »Okay, okay, ich hab's kapiert.« Tom winkte der Bedienung.
    »Aber wenn man gleich mit zwei Mädchen ausgehen möchte,
empfiehlt es sich schon, ein bisschen Kleingeld in der Tasche zu
haben. Noch drei Kakao, bitte«, bestellte er. »Was muss ich zahlen,
damit eine von euch freiwillig heute Abend meinen Tischdienst
übernimmt?« Er klimperte mit ein paar Münzen in seiner
Hosentasche.
    »Tischdienst? Daher weht also der Wind.« Ich lachte und
boxte Tom auf den Arm. »Das muss ich mir noch gut überlegen.
Zwei Kakao für einen Tischdienst? So billig wird das wohl nicht
werden. Mel ist ja fein raus als Externe, da bleibt dein reizendes
Angebot wohl an mir hängen.«
    Jetzt lachte auch Mel. »Du kannst ja mit zu mir kommen
heute Abend. Dann kann der feine Herr sich seinen Tisch selbst
decken.«
    Mit zu Mel? Hatte sie das ernst gemeint? Ich traute mich nicht,
noch einmal nachzufragen. Ich war noch nie bei jemandem aus
der Schule zu Hause gewesen. In meiner Klasse gab es ohnehin
nur wenige Externe. Die meisten von uns verbrachten die Woche
im Internat und fuhren nur am Wochenende nach Hause.
    Die Bedienung brachte die neue Runde Kakao, und Melanies
Einladung stand noch unbeantwortet im Raum, als ihr Handy
klingelte. Hektisch fummelte sie es aus ihrer Jackentasche und
sah dabei auf die Uhr.
    »Verdammt, so spät schon?« Melanie sprang auf und trat mit
dem Handy am Ohr ein paar Schritte zur Seite. Während sie telefonierte,
betrachtete sie die Bilder an den Wänden. Als sie zurückkam,
wirkte sie nervös. »Ich muss nach Hause.«
    Ob ihr Bruder wieder angerufen hatte? Plötzlich verhielt sich
Mel wie ein gehetztes Tier.
    »Hab noch nicht alle Hausaufgaben. Wir sehen uns morgen.«
    Sie schnappte sich ihre Jacke und den Rucksack. »Danke für den
Kakao«, wandte sie sich an Tom. Und weg war sie.
    »Ihr Vater muss ja ein echtes Arschloch sein, wenn sie so viel
Angst vor ihm hat«, murmelte Tom und schob mir Mels zweiten
Kakao zu. Sie hatte noch nicht mal daran genippt.

Seit er sie gesehen hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf.
    Sie war besser als die anderen.
    Viel besser.
    Und doch schien es für sie keine Rolle zu spielen.
    Es ging ihr nicht um den Sieg.
    Sie wollte schwimmen.
    Ihm war es, als ob sein Herz auch in ihrer Brust schlug.
    Sie verstand ihn.
    Das ließ sie ihm so nah sein. Und machte sie gleichzeitig so gefährlich.
    Denn sie würde auf dem Grund seiner Seele lesen können wie in
einem offenen Buch.
    Das galt es zu verhindern.

Beethovenallee 17. Endlich. Seit einer Viertelstunde fuhr ich
jetzt schon mit meinem Rad durch das Musikerviertel. So heißt
diese Gegend, weil hier alle Straßen nach bekannten Musikern
benannt sind. Mozart, Haydn, Bach, Lehar und eben auch Beethoven.
Im Dunkeln sah hier alles vollkommen gleich aus, und
die Grundstücke waren so riesig, dass kaum eins der Häuser
direkt am Weg

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