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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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von Melanie erzählt.
    »Hm. Ach so. Ja. Wie war es?«
    Ich nippte an meinem Kaffee.
    »Es war nett«, log ich. »Ihre Eltern sind nett. Und ihr Bruder
auch«, fügte ich hinzu. Ich musste lächeln, als ich mir das Gesicht
von Mika ins Gedächtnis rief.
    »Ihr Bruder?« Es klirrte, als meine Mutter die Tasse auf den
Tisch knallte.

»Mika ist nicht so. Hör endlich auf, ihn schlechtzumachen, du
kennst ihn doch gar nicht!«
    »Jana, verdammt! Wenn du einen kennst, kennst du alle,
wann begreifst du das endlich?«
    Ich rannte aus der Küche in mein Zimmer und knallte die Tür
hinter mir zu. Seit einer halben Stunde stritten wir uns jetzt und
ich hatte es so satt. Ich wünschte, ich könnte woandershin, aber
das war mein Zuhause, und außer dem hier und meinem Zimmer
im Internat gab es nichts, wo ich hätte hinfahren können.
    Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Sobald das Gespräch
auf einen Jungen kam, rastete meine Mutter regelmäßig
aus. Es spielte keine Rolle, wer der Junge war oder ob er überhaupt
viel mit mir zu tun hatte. Es reichte aus, ihr zu sagen, dass
ich ihn nett fand. Manchmal wurde sie nur wütend. Damit
konnte ich umgehen. Wir brüllten uns an, ein paar Türen knallten
und irgendwann vertrugen wir uns wieder. Schlimmer waren
die Abstürze. Dann weinte sie wie ein kleines Kind, dem man
sein Spielzeug weggenommen hatte. Ich begriff erst spät, dass
ich das Spielzeug war, um das es ging.
    »Männer sind Schweine«, war ein Lieblingssatz von ihr und
auch, wenn ich nicht genau wusste, was ihr von einem Mann
oder vielleicht auch von mehreren früher angetan worden war,
hatte ich ihre Einstellung bisher respektiert und mich damit abgefunden,
dass meine Mutter für den Rest ihres Lebens Single
bleiben wollte. Das war ihre Entscheidung und sie hatte nichts
mit mir zu tun. Dachte ich. Als kleines Kind siehst du die Welt,
wie sie ist. Und es ist egal, ob dir gefällt, was du siehst, oder ob
es dir nicht gefällt. Es ist die Welt, die du kennst, und du stellst
sie nicht infrage. Erst als ich älter wurde, begriff ich, dass meine
Welt nur eine von vielen möglichen war. Und dass meine Mutter
alles tat, um mir die anderen Welten vorzuenthalten. Sie wollte
nicht, dass ich unter dem Seil durchtauchte und nach anderen
Welten suchte. Und sie schaffte es, mir das Gefühl zu geben, dass
sie ohne mich ertrinken würde. Obwohl das Wasser, in dem sie
lebte, flach war.
    Es klopfte an meiner Tür.
    »Jana, mach auf, bitte.«
    Ich starrte aus dem Fenster und schwieg.

    »Jana, ich habe es doch nicht böse gemeint. Ich mache mir
einfach Sorgen um dich, verstehst du das denn nicht?« Ihre
Stimme klang jetzt weinerlich, aber damit kam sie bei mir nicht
an. Nicht mehr. Eine Weile lang blieb es still. Dann ein kurzes
Schniefen.
    »Na gut, wie du willst. Ich gehe jetzt einkaufen. Wenn ich zurückkomme,
bist du hoffentlich fertig damit, beleidigt zu sein.«
Ihre Stimme war jetzt ganz ruhig.
    Eben noch hatte ich eine Mutter, die zu viel trank und kaum
vom Sofa runterkam. Die ohne Einkaufszettel von mir am Wochenende
hungern würde. Und jetzt? Ich hielt es kaum noch
aus. Manchmal fragte ich mich, ob wir beide überhaupt in einem
Raum atmen konnten, ohne uns gegenseitig die Luft zu
nehmen.
    Erst als ich hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, öffnete
ich wieder meine Zimmertür. Ich ging in die Küche, um nachzuschauen,
wie weit meine Wäsche inzwischen war. Bevor die
Maschine nicht fertig war, konnte ich nicht gehen. Und im Moment
wollte ich einfach nur weg. Aber es sah so aus, als ob daraus
vorläufig nichts würde. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Elf Uhr.
Selbst Melanie dürfte jetzt ausgeschlafen haben. Ich zog mein
Handy aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer.
    »Melanie Wieland.« Sie meldete sich sofort nach dem ersten
Klingeln.
    »Mel, Jana hier. Bitte leg nicht auf, ich …«
    »Was willst du?« Ihre Stimme klang abweisend.
    »Ich muss mit dir reden. Dringend. Ich habe es gestern den
ganzen Tag versucht, aber du gibst mir ja keine Chance!«
    »Da gibt es nichts zu reden. Ich will einfach in Ruhe gelassen
werden. Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Melanie, bitte. Was ist los? Hat dein Vater etwas damit zu
tun? Weißt du, was Drexler zu mir gesagt hat?« Eigentlich wollte
ich es diplomatischer anpacken, aber Melanie würde mir nicht
die Zeit dazu lassen.
    »Lass meinen Vater aus dem Spiel. Und was Drexler gesagt
hat, interessiert mich nicht.«
    »Können wir uns treffen? Melanie, hörst du, es ist

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