Wie ein Flügelschlag
mit meinen
Gedanken allein sein.
Die Kugeln rollten über das Feld.
Er würde sie versenken. Eine nach der anderen.
Bis am Schluss nur noch die beiden übrig waren.
Schwarz und weiß.
Er musste nur darauf achten, dass er die schwarze Kugel nicht zu
früh aus den Augen verlor.
Das Spiel hatte begonnen.
Bestimmt schon zum dritten Mal an diesem Morgen schaute ich
auf mein Handy. Die SMS war eindeutig. Okay, lass uns reden. Ich
komme zur Bushaltestelle. Mel.
Sie hatte die Nachricht schon gestern Abend geschickt, aber
gelesen hatte ich sie erst jetzt.
Gut. Sie würde kommen. Und ich konnte ihr meine Entscheidung
mitteilen. Die Zeit war knapp, aber noch nicht zu knapp.
Wir würden reden und dann konnte Mel mit diesem Scheiß aufhören.
Sie würde morgen gewinnen und ich würde mein Stipendium
behalten. Die Sache war so einfach, dass ich mich fragte,
warum ich für diese Entscheidung so lange gebraucht hatte. Ich
zog meinen Fleecepulli über den Trainingsanzug. Wir würden
uns im Häuschen an der Bushaltestelle treffen. Um zu reden,
statt mit den anderen zu laufen. In der Nacht hatte es wieder geschneit.
Es würde kalt werden. Verdammt kalt.
Als ich auf den Hof trat, war es stockdunkel. Ich wollte früher
als die anderen das Gelände verlassen. Unnötig, ein Risiko einzugehen.
Ich hatte keine Lust, erklären zu müssen, warum ich
nicht mitkam in den Wald. Und das Wichtigste: Ich wollte Drexler
nicht begegnen. Erst wollte ich mit Melanie reden. Endlich.
Ich schaffte es zur Bushaltestelle, bevor die anderen vom
Schulhof kamen. Melanie war noch nicht da. Also stöpselte
ich meine Kopfhörer in die Ohren und schaltete meinen MP3-
Player ein. In Gedanken sah ich Mika vor mir und ich fühlte
seine Hand an meinem Gesicht. Jetzt bereute ich es, dass ich
seine Handschuhe in meinem Zimmer liegen gelassen hatte.
Ich zerrte die Ärmel meines Pullis über die Hände, um sie wenigstens
ein bisschen vor der Kälte zu schützen. Im Takt der
Musik trat ich von einem Fuß auf den anderen. Aber die Kälte
war überall. Als ich Stimmen hörte, zog ich mich tiefer in das
Wartehäuschen zurück. In der Dunkelheit konnten sie mich unmöglich
sehen. Hoffentlich ließ Mel sich nicht von den anderen
abfangen. Die Ersten trabten an mir vorbei und ich drückte
mich tiefer in den Schatten des Häuschens. Ich hörte Nora und
Vanessa, die sich miteinander unterhielten, dann das Schnaufen
von Bea. Der frische Schnee knirschte unter den Schuhen der
Läufer. Jemand bellte einen Befehl. Drexler.
Die Gruppe verließ die Straße und bog in den nahen Wald
ab. Ich atmete auf. Niemand hatte mich gesehen. Aber wo blieb
Mel? Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper und hüpfte
ein paarmal auf und ab. Rihannas Song lief in einer Endlosschleife
auf meinem Player. Wie oft hatte ich ihn jetzt schon
gehört? Dreimal? Viermal? Melanie war immer noch nicht da.
Verdammte Scheiße, was glaubte sie eigentlich, was ich hier
machte? Sie hatte versprochen zu kommen.
Zum hundertsten Mal an diesem Morgen holte ich mein
Handy aus der Hosentasche und las die SMS. Wir wollten uns
an der Bushaltestelle treffen. Ein Missverständnis war ausgeschlossen.
Was sollten jetzt also diese Spielchen? Warum zerbrach
ich mir eigentlich meinen Kopf über Mel? Wozu machte
ich mir Sorgen? Vermutlich lag sie noch in ihrem warmen Federbett,
während ich mir hier Hände und Füße abfror. Ich fühlte,
wie meine Besorgnis in Wut umschlug. Was ging es mich an, ob
Melanie ihre Gesundheit aufs Spiel setzte?
Rihanna in meinem Ohr startete zu einer weiteren Runde.
I want to fly …
Und Mel hatte mich schon wieder versetzt.
Stimmen verrieten mir, dass die ersten Läufer aus dem Wald
zurückkamen. Ich verbarg mich ein paar Schritte tiefer in der
schützenden Dunkelheit des Wartehäuschens. Setzte mich auf
die Bank.
Melanie war nicht gekommen. Die Enttäuschung, die mich
einhüllte, fühlte sich an wie eine Wolldecke, die zu sehr kratzte.
Man möchte sich ganz darin einwickeln, weil man friert, und
gleichzeitig am liebsten auf der Stelle seinen Körper daraus befreien.
Ich hörte Jonas, wie er mit Tom sprach. Wann hatten die
beiden sich wieder vertragen? Und ich hörte Drexler, der die
anderen zur Eile antrieb. Ich spürte, wie die Wut in mir weiter
anschwoll. Sie kam ganz langsam, dann breitete sie sich immer
schneller aus. Genauso schnell, wie die Wärme aus meinem
Körper wich, suchte die Wut sich ihren Platz in mir. Sie kroch
aus meinem Bauch erst in die Arme, dann in meine Beine,
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