Wie ein Flügelschlag
mich völlig zerschlagen, jede Faser meines Körpers
schmerzt und jede Bewegung ist mir zu viel.
»Da bist du ja wieder.«
Die gleiche Stimme wie zuvor, diesmal aber ganz sicher real,
denn ich sehe das Gesicht dazu, das über mir erscheint, und die
Hand, die mir die Haare aus der Stirn streicht. Meine Mutter.
Wie kommt sie hierher? Was hat sie im Internat zu suchen?
Denn jetzt erkenne ich auch, dass es mein Bett ist, in dem
ich liege, und der, der da an der Wand schwimmt, ist Michael
Phelps.
Ich versuche wieder, den Mund zu öffnen, will meine Mutter
fragen, was sie hier macht, aber sie legt mir einen Finger auf die
Lippen und bedeutet mir zu schweigen.
»Ruh dich aus. Du wirst noch eine Weile brauchen, bis du
wieder richtig wach bist. Schlaf noch ein bisschen. Ich bleibe
hier, bis es dir besser geht und wir nach Hause fahren können.«
Schlafen? Nach Hause? Ich will nicht schlafen und ich will
auch nicht nach Hause. Ich fahre doch nicht mitten in der Woche
nach Hause. Welcher Tag ist heute? Muss ich nicht schwimmen?
Draußen vor dem Fenster ist es hell. Warum liege ich überhaupt
im Bett? Was mache ich hier?
Ich setze mich auf, aus meinem Mund kommt ein Stöhnen
und meine Mutter drückt mich sofort zurück auf mein Kissen.
Ich bin viel zu schwach, um mich dagegen zu wehren.
»Bleib liegen, bitte. Der Arzt hat gesagt, es kann einen ganzen
Tag dauern, bis du wieder einigermaßen fit bist. Die Spritze, die
sie dir gegeben haben, war wohl ein ziemlicher Hammer.«
Eine Spritze? Was für eine Spritze? Und welcher Arzt? In
meinem Kopf beginnt wieder alles, sich zu drehen. Ich suche
nach Antworten und finde nur noch mehr Fragen. Mel …?, will
ich sagen und auf einmal weiß ich es. Abrupt richte ich mich
auf. Meine Mutter stürzt zum Bett und ich werfe mich in ihre
Arme, klammere mich an ihren Hals und dann endlich weine
ich. Mel ist tot, und ich werde den Anblick dieses Engels, der
mit gebrochenen Flügeln am Beckenrand liegt, nie wieder vergessen.
Zum ersten Mal in meinem Leben tut meine Mutter das einzig
Richtige. Sie nimmt mich in die Arme und hält mich einfach
nur fest. Sie sagt nichts, sie fragt auch nichts, sie lässt mich weinen
und hält mich. Ich weine so sehr, dass ich wieder zu zittern
anfange. Meine Mutter zieht die Bettdecke einfach ein bisschen
fester um mich und hält mich weiter. Irgendwann bin ich ganz
leer geweint, habe keine Tränen mehr, meine Augen brennen
und mein Hals schmerzt. Ich wische mir mit dem Ärmel meines
Pyjamas übers Gesicht.
»Was ist passiert?« Meine Stimme gehorcht mir noch immer
nicht richtig. »Ich meine, von welcher Spritze redest du?«
Meine Mutter streicht mir über den Kopf und hält mich. »Der
Notarzt hat dir eine Beruhigungsspritze gegeben. Er sagt, du
bist völlig ausgerastet. Hast geschrien und getobt und um dich
geschlagen. Sie hatten Angst, du könntest dir etwas antun, deshalb
hat dir der Arzt eine Spritze gegeben. Dann haben sie dich
hier ins Bett gebracht und mich angerufen. Eigentlich wollten
sie dich wohl ins Krankenhaus bringen, aber ich habe es ihnen
ausgeredet. Ich habe ihnen erzählt, dass du Krankenhäuser nicht
ausstehen kannst, und ihnen versprochen, da zu sein, wenn du
wach wirst. Und hier bin ich.« Sie zieht mich wieder fester an
sich und ich bleibe still. Nach einer Weile kann ich es nicht mehr
unterdrücken.
»Melanie?«
»Sie wissen noch nicht, was passiert ist. Vermutlich ein Kreislaufzusammenbruch.
Oder einfach Herzversagen. Sie soll ja unglaublich
viel trainiert haben in letzter Zeit.« Seltsamerweise
wundere ich mich gar nicht, woher meine Mutter so gut informiert
ist. Kreislaufzusammenbruch. Ich sehe die beiden Schachteln
vor mir, die aus ihrer Tasche gefallen waren und die sie so
hektisch an sich gerissen hatte. Und dann muss ich an die Informationen
denken, die Google mir ausgespuckt hatte. Daran,
dass es schon Todesfälle gegeben hatte im Zusammenhang mit
Construnit
. Kreislaufzusammenbruch. Vielleicht ist Mels Kreislauf
tatsächlich zusammengebrochen. Aber der Grund dafür
war sicher nicht ihr häufiges Training.
Ich halte es nicht länger im Bett aus. Ich muss etwas unternehmen.
Ich werfe die Bettdecke von mir und stehe auf. Vor meinen
Augen dreht sich alles und ich sacke auf den Fußboden.
»Jana!« Meine Mutter stürzt zu mir und zieht mich wieder
aufs Bett. Ich leiste keinen Widerstand. Fassungslos stelle ich
fest, dass meine Beine mir nicht mehr gehorchen.
Ich lasse zu, dass meine Mutter die Bettdecke wieder stramm
um
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