Wie ein Flügelschlag
mit dem Lauf der Pistole auf das Wohnzimmer. Wie
in Zeitlupe setze ich mich in Bewegung. Wieder soll ich mich
in den Sessel setzen, in dem ich schon einmal Platz genommen
habe. Ich höre die Musik und kann nicht anders, als Bernges für
seine Gelassenheit zu bewundern. Er muss zuerst die CD aufgelegt
haben, bevor er ins Schlafzimmer gekommen ist.
»Möchtest du etwas trinken?«
Ich schüttele den Kopf. Kann kaum sitzen. Unruhig rutsche
ich auf der Sesselkante hin und her.
Bernges greift zu einer Flasche mit einer bernsteinfarbenen
Flüssigkeit, die auf dem Tisch steht, und gießt etwas davon in
ein leeres Glas. All das erledigt er mit einer Hand, während die
andere weiterhin die Waffe auf mich richtet.
»Dann kannst du mich jetzt fragen.«
»Was … was soll ich denn fragen?«, stammele ich, kaum
fähig, überhaupt zu sprechen. Ich wage es nicht, die Pistole aus
den Augen zu lassen.
»Ich sehe dir doch an, dass du eine Menge Fragen hast.« Jetzt
lächelt er sogar.
»Du willst wissen, warum ich unter einem anderen Namen
an diese Schule gekommen bin. Du hast sicher auch die Rechnungen
gefunden, die Drexler für dieses wunderbare Medikament
ausstellt, und fragst dich, was ich damit zu tun habe, richtig?
Und vor allem«, er legt eine Pause ein, führt das Glas zum
Mund und nippt daran, ohne den Blick von mir abzuwenden,
»vor allem willst du eins wissen: Du willst endlich erfahren, wie
deine Freundin Melanie Wieland gestorben ist. Hab ich recht?«
Er stellt das Glas auf den Tisch und schaut mich erwartungsvoll
an.
Ich senke den Kopf. Ich will gar nichts mehr wissen, ich will
nur noch raus hier. Das Zittern nimmt zu. Ich kann meine Arme
und Beine nicht mehr stillhalten. Mühsam kämpfe ich gegen die
Tränen, die mir schon wieder in die Augen steigen.
»Bitte, lassen Sie mich gehen.« Meine Stimme ist ganz dünn
und piepsig. Fast schäme ich mich dafür.
Er lächelt wieder. Dann schüttelt er bedauernd den Kopf.
»Du wirst sicher verstehen, dass das nicht geht.«
»Aber ich … was haben Sie denn davon … Ich habe doch
mit all dem überhaupt nichts zu tun … ich …« Meine Stimme
versagt jetzt endgültig.
»Du hast mehr damit zu tun, als du ahnst. Weißt du, ich war
einmal wie du …« Bernges nippt an der Flüssigkeit in seinem
Glas. Wäre da nicht die Pistole in seiner Hand, könnte man erwarten,
dass er mir gleich wieder Weihnachtsplätzchen anbietet.
»Und mein ärgster Konkurrent war gleichzeitig mein bester
Freund.«
»Wieland«, entfährt es mir und Bernges nickt.
»Wir waren wirklich befreundet. Was wir taten, taten wir gemeinsam.
Im Wasser zählte allerdings nur der Sieg, aber auch
hier teilten wir relativ gerecht auf. Mal gewann der eine, mal
stand der andere auf dem Treppchen.«
Für einen kurzen Moment schließt er die Augen, aber ich
wage es nicht, mich zu rühren. Da fährt er auch schon fort.
»Unsere Freundschaft hielt weit über die Schulzeit hinaus.
Wir waren beide im deutschen Kader, Olympia stand vor der
Tür, wir trainierten wie die Besessenen. Auch wenn wir uns in
vielem sehr ähnlich waren, unsere Motivation war vollkommen
unterschiedlich. Wieland wollte den Erfolg, den Ruhm. Allein
das zählte für ihn. Ich wollte die Freiheit. Und die fand ich nur
im Wasser.«
Seine Augen durchbohren mich. Ich versuche, seinem Blick
standzuhalten. Dann gebe ich auf und nicke.
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. »Ich wusste, dass du
das verstehst.«
Mein Hals ist trocken, ich muss mich räuspern, um überhaupt
einen Ton herauszubringen.
»Was ist passiert?«
Bernges schaut eine Weile aus dem Fenster, so als müsse er
erst nach der richtigen Antwort suchen. Mein Blick fällt auf die
Pistole in seiner Hand, deren Lauf sich langsam zu Boden senkt.
Aber da fasst er sie schon wieder fester und richtet sie erneut auf
mich.
»Jemand, der schwimmt, weil er nur den Erfolg will, hält irgendwann
keinen anderen mehr neben sich aus. Es gab einen
Unfall. Verursacht durch Wieland. Dieser Unfall hat meine Karriere
abrupt beendet.«
Nach dem Zeitungsartikel hatte ich mir so etwas ja schon gedacht.
Wieland war also tatsächlich daran schuld, dass sein bester
Freund im Rollstuhl gelandet war. Zumindest Bernges sah
das so.
Reden, denke ich. Du musst reden. Irgendwas.
»Und jetzt? Warum sind Sie an unsere Schule gekommen?
Hatten Sie keine Angst, dass Wieland Sie erkennen könnte? Was
wollen Sie hier? Rache?«
Bernges lacht so lauthals auf, dass ich erschrocken zusammenzucke.
»Rache. Was für ein
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