Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
Eifer der Familie schien sich bereits erschöpft zu haben, als die beiden Brüder Paul und John Gustafson mit ihrem Cousin, dem blonden und blauäugigen Nicklaus Jansen, in Torchlight landeten. Sie konnten arbeiten wie Maultiere, sagten alle, und waren auch durchaus bereit dazu. Allerdings hatten sie eine Schwäche für Whiskey, und zumindest die Brüder Paul und John wussten, dass sie freie Auswahl unter den einheimischen Mädchen hatten, und machten auch regelmäßig Gebrauch davon. Nick war der Stille und erstaunlich höflich, obwohl er alle unter den Tisch trinken konnte. Und die drei liebten Musik und liebten das Tanzen. Nick spielte Gitarre, als wäre es eine Fiddle oder ein Banjo, und bei den Tanzabenden in jenem Sommer hauchte seine Anwesenheit den alten Liedern neues Leben ein.
Vista war siebzehn, als die Schweden kamen, und mit achtzehn war sie, sehr zur Verwunderung aller Bewohner von Torchlight, schwanger von Nicklaus Jansen. Zu ihrer Verwunderung und, musste man sagen, ihrer Freude. Was sie empfanden, war eine Mischung aus Genugtuung über den Denkzettel, der ihrer Meinung nach diesem stillen und, wie sie annahmen, hochnäsigen Ding recht geschah, und Erleichterung, dass dieses ernste Mädchen doch endlich etwas Vergnügen gefunden hatte.
Nick war ein schöner junger Mann, zu schön, würde Vista später denken, als sie sich Vorwürfe machte, dieser Schönheit erlegen zu sein. Er trug seine blonden Haare länger als die meisten anderen Männer, und sie kringelten sich an den Ohren und am Halsansatz wie bei einem kleinen Kind. Er war groß und stark, aber gleichzeitig schlank und aufrecht. Er hatte nichts Massiges oder Brutales an sich. Als Vista ihn zum ersten Mal sah, in der Abenddämmerung eines Sommertages auf dem Weg zu Cecil Bakers Scheune, mit seiner polierten Gitarre in der Hand, empfand sie etwas, das empfinden zu können sie nicht geahnt hatte. Andere junge Männer, die einheimischen gutaussehenden, hatten sie aus irgendeinem Grund immer an ihre leichtsinnige Mutter erinnert. Aber als sie Nicklaus Jansen beobachtete, seine weichen Hände und den meistens eher zu Boden als auf andere Menschen gerichteten Blick – wie ein schüchterner Schuljunge, dachte sie, oder wie sie selbst –, schob sie jeden Gedanken an ihre Mutter beiseite. Und dann begann er zu spielen.
Er ging ganz allein in eine Ecke der Scheune, und Vista suchte sich einen Platz, an dem sie sehen, aber nicht gesehen werden konnte, und als er die ersten Akkorde anschlug und mit einer hohen, hauchigen Stimme mitsummte – es war All the Pretty Little Horses –, da musste Vista sich an dem Balken neben ihrem Kopf festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Nach einer Weile kamen seine Cousins, um ihn zu den anderen Musikern – Cecil an der Fiddle und seinem Sohn Ray an seinem scheppernden alten Banjo – zu holen, und zusammen spielten sie den restlichen Abend schnell und laut. Auch Vista gesellte sich nun zu den Tanzenden, unentwegt aber hörte sie im Kopf ein von einer Schuljungenstimme gesungenes süßes Wiegenlied, und jedes Mal, wenn sie in die Nähe der Musiker geriet, schielte sie heimlich in seine Richtung. Er jedoch blickte immer nach unten oder auf seine Mitspieler, beobachtete, was sie machten, oder beobachtete seine eigenen wunderschönen Finger, wenn er die Melodie spielte und die anderen im Hintergrund zupften und strichen und ihn, wie alle im Raum, bewundernd ansahen.
So ging das bei jedem Tanzabend in Cecil Bakers Scheune. In jenem Sommer fanden sie regelmäßig statt, nun da die Schweden da waren. Nicklaus Jansen und seine Cousins trafen bei Sonnenuntergang ein, in sauberen Hemden und Arbeitsstiefeln. Paul und John steuerten geradewegs auf den Whiskey hinten in der Scheune zu, und Nicklaus zog sich in eine Ecke zurück, um sich auf der Gitarre warmzuspielen. Und jedes Mal nahm Vista ihren Platz im Halbdunkel ein und sah und hörte zu.
Eines Abends, etwa einen Monat nach der Ankunft der Schweden in Torchlight, veranlasste irgendetwas Vista dazu, das Gesicht ins Licht zu schieben, genau wo Nicklaus Jansen sie sehen konnte, falls er zufällig den Kopf hob. Und nachdem er den Refrain eines ihr unbekannten Liedes geklimpert hatte, tat er das auch. Er sah sie direkt an und lächelte, und er sagte: »Ich hab mich schon gefragt, ob du jemals aus der Ecke da rauskommen willst.« Und an jenem Abend legte er die Gitarre weg und tanzte zum ersten Mal, und beim letzten halben Dutzend Tänze war seine einzige
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