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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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in den Blechabfalleimer unter dem Waschbecken in ihrem Zimmer, zündete ein Streichholz an und sah zu, wie sie verbrannten.
    Zu keiner Zeit litt ihr Studium darunter. So geschickt war sie darin, alle zu täuschen, dachte sie, sich als dieselbe alte Mary Elizabeth auszugeben, das gute und starke Mädchen, das sie für Tante Paulie und ihre Eltern gewesen war. Das sich ein Leben wie Octavia aufbauen würde. Morgens stand sie früh auf und ging in die Bibliothek. Octavia gegenüberzutreten, fiel ihr immer schwerer. Daher verbrachte sie ganze Tage auf dem Campus und kehrte erst zurück, wenn sie wusste, dass Octavia fort war. Nicht lange nach der Beerdigung ihrer Mama begann sie, Marcus ebenfalls aus dem Weg zu gehen.
    Später würde Mary Elizabeth begreifen, wie offensichtlich es für Octavia gewesen sein musste. Zudem vermutete sie, dass Marcus es ihr vielleicht sogar erzählt hatte. Ihre Beziehung war so, das wusste sie; auch Octavia hatte andere Liebhaber. Doch als Mary Elizabeth bemerkte, dass sie schwanger war, konnte sie sich anfangs nicht vorstellen, Octavia um Hilfe zu bitten.
    Nachdem sie sich vergewissert hatte, erzählte sie es Marcus, und als der seine Brieftasche zückte und versuchte, ihr Geld zu geben, wandte sie ihm den Rücken zu, um ihre Tränen zu verbergen. Sie sagte nur: »Ich kümmere mich darum.« Am selben Abend schrieb sie einen Brief an Maze und fragte sie, ob sie Schwester Georgia um etwas von dem Tollkirschentee bitten könne, dem »für Schwestern, die gefehlt haben«, und ihn ihr schicken würde. So verzweifelt war sie, würde sie nur eine Woche später mit einem bitteren Lachen denken. So verzweifelt und hysterisch, dass sie an einen alten Shaker-Voodoo glaubte, ein Hinterwäldlerabtreibungsmittelchen.
    Den Brief schickte sie am nächsten Morgen ab, und als sie eine Woche später vom Unterricht nach Hause kam, ohne einen Blick für die an den Zweigen der großen alten Bäume schimmernden, blassgrünen Knospen, sah sie jemanden auf Octavias Veranda, den Mary Elizabeth niemals in Chicagos South Side erwartet hätte. Sie wusste sofort, dass es Maze war, obwohl sie Mary Elizabeth den Rücken zugewandt hatte. Maze trug einen alten Regenmantel und schlammverschmierte Stiefel und einen der billigen Pappkoffer, die sie schon in Berea gehabt hatte, und sie stand auf Zehenspitzen, um durch die Glasscheibe in Octavias Haustür zu spähen.
    »Maze!«, rief Mary Elizabeth. »Ich hätte nie erwartet, dass du selbst den weiten Weg …«
    Da drehte Maze sich um, lächelnd, mit müdem Gesicht. Und als Mary Elizabeth ihr schnell entgegenlief, sah sie sofort, dass ihre Freundin schwanger war.
    Diese Frau – Mary Elizabeths Dozentin, die Besitzerin des Hauses, in dem sie wohnte – schüchterte Maze ein. Zu groß, zu laut, zu selbstbewusst. Solche Lehrer hatte sie in Berea nicht gehabt, wobei sie von denen, die sie hatte, auch keinen sonderlich gern mochte.
    »Du hast gesagt, sie erinnert dich an deine Tante Paulie, aber so habe ich sie mir überhaupt nicht vorgestellt«, meinte sie nach dem Abendessen zu Mary Elizabeth. Sie waren oben in ihrem Zimmer, am selben Abend, an dem Maze mit ihrem fast leeren Koffer und der schwachen Hoffnung, Mary Elizabeth umstimmen zu können, eingetroffen war.
    »Ich meinte damit nicht, dass sie so aussieht«, erwiderte Mary Elizabeth. Sie lag mit einem kalten Tuch auf der Stirn auf ihrem Bett. Maze saß neben ihr, sie passte kaum auf den schmalen freien Platz. »Ich weiß nicht, warum ich gesagt habe, dass sie mich an Tante Paulie erinnert.« Mary Elizabeths Lippen waren blass um den Rand, sie sah aus wie eine Leiche. Sie wälzte sich unruhig auf dem Bett und suchte eine bequeme Position.
    »Am Anfang war mir auch so schlecht«, erzählte Maze. »Hundeelend, den ganzen Tag. Ich dachte immer, warum in Gottes Namen heißt das Morgenübelkeit? Es ist eine verdammte Ganztagsübelkeit.«
    Sie nahm das Tuch von Mary Elizabeths Stirn, tauchte es in die Schüssel mit Eiswasser, die sie auf den Nachttisch gestellt hatte, wrang es aus und legte es wieder zurück. »Aber es wird besser«, sagte sie. »Im Laufe der Zeit.« Dann verstummte sie.
    Mary Elizabeth hatte die Augen aufgeschlagen und starrte sie an wie ein Tier im Käfig. »Ich kann kein Kind bekommen, Maze«, sagte sie. »Das weißt du.«
    Maze hätte sich ohrfeigen können. Sie konnte zwar nicht ewig hinauszögern, auf den Tee zu sprechen zu kommen, glaubte aber offenbar, es ginge vielleicht doch irgendwie, wenn sie weiterhin

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