Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
Smalltalk hielte. Doch Smalltalk endete immer am selben Punkt. Sieh dir uns beide an, dachte sie. Worüber sollten wir uns sonst unterhalten?
Die Busfahrt von Lexington war furchtbar gewesen. Endlos und furchtbar. Schon seit Indianapolis spürte sie einen scharfen, stechenden Schmerz in der rechten Seite, vom Knöchel bis hinauf in die Achsel, und egal wie sie auf dem engen Sitz herumrutschte, sie fand keine bequeme Position. Ischias. Vista hatte das auch während der Schwangerschaft gehabt, hatte sie erzählt. Doch Maze rührte keines der Kräuterheilmittel an, die Vista oder Georgia ihr einzuflößen versuchten. Sie traute diesen beiden enttäuschten Frauen nicht.
Jetzt, bald im achten Monat, fühlte sie sich den Großteil der Zeit wieder stark – gesund und stark und bereit für dieses Kind. So fühlte sie sich, als sie aus dem Bus stieg. Sie zwang sich dazu. Mit großen Augen lief sie durch die Straßen von Chicago, bis der Ischias verging. An einer belebten Ecke fand sie einen Polizisten und fragte ihn, wo es zur Universität von Chicago ging. Ein Blick auf sie und er forderte sie auf, in sein Auto zu steigen. Er setzte sie direkt vor Octavia Prices Haustür ab.
Verwundert schüttelte Mary Elizabeth den Kopf, als Maze ihr das erzählte. Dann deutete sie auf Mazes riesigen Bauch und fragte: »Wie haben Schwester Georgia und deine Mama die Nachricht aufgenommen?«
»Ungefähr so, wie man es erwarten würde«, sagte Maze, obwohl das nicht ganz stimmte.
Vista wollte, dass Maze sofort in ihr Haus in Harrodsburg zog. Sie war davon überzeugt, dass Harris Whitman binnen kurzem weg wäre. Doch sie wüssten, was sie taten, erklärte Maze ihr. Sie ließen sich vor dem Amtsgericht trauen, und sie ließen Maze und ihr ungeborenes Kind in Harris’ Wehrdienstunterlagen als Unterhaltsberechtigte eintragen. Plötzlich war er Stufe 3A und zurückgestellt.
Sie trugen auch Schwester Georgia ein. Das war Georgias Idee gewesen. Damit überraschte sie Maze, aber andererseits hatte es eine Überraschung nach der anderen mit Schwester Georgia gegeben, seit Maze zurück nach Pleasant Hill gezogen war.
Nein, es gebe keine notarielle Urkunde, hatte Georgia Maze mitgeteilt, ihres Wissens nicht. Weder den Grund und Boden noch eines der Gebäude konnte sie Maze und ihren Freunden anbieten. Die Shaker hatten keinen Besitz. Sie verzichteten auf sämtliche weltlichen Habseligkeiten, wenn sie beitraten. Daher lag es nicht in Schwester Georgias Hand sicherzustellen, dass die jungen Leute bleiben könnten. Außer, sagte sie, sie wollten den Shaker-Bund unterzeichnen und als Mitglieder der Gemeinschaft derer, die an die Wiederkunft Christi glaubten, leben, wie sie es damals getan hatte. Daraufhin schüttelte Maze den Kopf. Diese Freunde seien nicht der Typ für so etwas. Nicht dazu sagte sie, dass vier von ihnen fünf bereits eine Hauptregel der Shaker brachen. Sie ahnte, dass das nicht nötig war.
Dennoch wirkte Schwester Georgia überrascht, als Maze von ihrer Schwangerschaft erzählte. »Was hat sie denn gedacht, was ihr alle da drüben im Shaker Inn treibt? Stühle zimmern?«, sagte Vista mit ihrem bitteren Lachen. Doch dann, mit einem Mal, freute Schwester Georgia sich über die Neuigkeit – weit mehr und weit schneller als Vista. Sobald Maze und Harris verheiratet wären, könnten sie zu ihr in die Schwesternwerkstatt ziehen, sagte sie. Sie lese jeden Tag die Zeitung. Sie habe sich Sorgen um die jungen Männer gemacht, um Harris und Daniel und Phil.
Das alles und noch mehr erzählte Maze Mary Elizabeth, als sie an jenem Nachmittag nach ihrer Ankunft in Octavias gemütlichem Wohnzimmer saßen. Sie redete und redete und hörte nicht auf, füllte jede Pause, jeden stillen Moment mit dem Klang ihrer eigenen Stimme.
Und das alles, um Mary Elizabeth davon abzuhalten, nach dem Tee zu fragen. Denn natürlich hatte sie ihn dabei, in ihrem Koffer. Als Mary Elizabeths Brief eintraf, war sie sofort mit dem Buch der Schwestern zu Georgia gegangen und hatte es auf der Seite aufgeschlagen, die sie zwei Jahre vorher entdeckt hatten. Georgia bewahrte von allen Pflanzen etwas in getrockneter Form auf dem Dachboden der Schwesternwerkstatt auf, das wusste Maze. Darunter war sicher auch der Teil der Tollkirsche, nach dem dieses unlesbare Rezept verlangte.
Sie reichte Georgia das offene Buch, auf dem Mary Elizabeths Brief lag. Zwei Tage später gab Schwester Georgia ihr ein Wachspapierpäckchen mit dem Tee.
»Nimm alles auf einmal und koch daraus
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