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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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von ihrem geschiedenen Freund getrennt und ein eigenes Haus in Harrodsburg gekauft – was sage sie dazu!
    Alle Briefe von Maze an Mary Elizabeth schlossen mit denselben Worten: »Ich wünschte immer noch, du kämest zurück.«
    Im Januar erhielt Mary Elizabeth eine seltsam knappe Nachricht von Maze. Sie und Harris Whitman würden heiraten, stand darin. Dann: »Ich wünschte immer noch, du könntest hier bei uns in Pleasant Hill wohnen.«
    Mary Elizabeth schrieb Maze nur selten zurück. Sie fand es schwierig, einen Anfang für diese Briefe zu finden. Und wenn sie es doch tat, war sie selten imstande, sie zu beenden. Die routinierte, förmliche Sprache, die sie in den Berichten an ihren Daddy und ihre Mama benutzte, würde bei Maze niemals funktionieren, das wusste sie. Maze würde das als Beleidigung empfinden.
    Nun allerdings müsste sie reagieren. Doch alles hatte sich verändert, und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Herzlichen Glückwunsch, Maze! , könnte sie schreiben. Und Glückwunsch auch an mich – ich bin nicht mehr Schwester Georgias einzig reiner Mensch! Denn seit Dezember fütterte Mary Elizabeth nicht nur Octavia Prices Katzen und goss ihre Pflanzen, sondern sie hatte auch Sex mit Octavias Gelegenheitsliebhaber Marcus Dyer.
    Es hatte begonnen, als Octavia über Weihnachten verreist war, und dauerte nach ihrer Rückkehr an – jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag, wenn Octavia Unterricht hielt. An diesen Tagen hastete Mary Elizabeth von ihren eigenen Kursen nach Hause, und noch ehe Octavia ihre Tasche gepackt und in wehenden Seidentüchern und einer Duftwolke das Haus verlassen hatte, schrubbte sie schon die Wanne des Badezimmers im ersten Stock und ließ sie randvoll mit Wasser laufen, parfümiert mit Octavias eigenen seidigen Badesalzen. Sobald sie sich vergewissert hatte, dass Octavia weg war, sank Mary Elizabeth tief in die Wanne und seufzte und begann damit das Ritual, sich auf die hungrigen Augen, die muskulösen Arme, die forschende Zunge und den Schwanz von Marcus Dyer vorzubereiten.
    Sie stieg aus dem Bad und puderte sich sorgfältig ein, führte dabei allerdings einen aussichtslosen Kampf, denn ihr ganzer Körper zerfloss schier vor Verlangen. Selbst seine Schlüpfrigkeit und sein Geruch konnten sie erregen. Dann wickelte sie sich in den Kimono, den Marcus in Chinatown gekauft und ihr geschenkt hatte. Damit hatte er sie damals verführt, als Octavia am Weihnachtstag abgereist war. »Fröhliche Weihnachten«, sagte er und hielt ihr das Päckchen vor die Nase. Sie saß an Octavias großem, unaufgeräumtem Esstisch und arbeitete an einem Referat.
    »Mach es auf und probier’s an«, sagte er über sie gebeugt. »Du brauchst etwas, was deine weiche Haut atmen lässt.« Sein Atem fühlte sich in ihrem Nacken warm an, und ihre Hand zitterte, als sie den Bleistift weglegte und den Hals verdrehte, um ihn anzusehen.
    Sie zuckte nicht oder wandte den Blick ab. Sie war so hungrig wie er – noch hungriger. Ihr ganzes Leben, so kam es ihr plötzlich vor, hatte sie darauf gewartet, so zu empfinden. Trotz aller Scham und Heimlichkeit hatte Mary Elizabeth das Gefühl, den Weg nach Hause zu etwas gefunden zu haben. Sie hatte Marcus Dyers schläfrige braune Augen und seine starken Schlagzeugerarme gefunden, seine breiten, schwieligen Hände und die langsame, sichere Art, mit der er sie an jenem ersten Abend ausgezogen hatte und mit der er sie all die anderen Male seitdem berührt hatte – den geschmeidigen, perfekten Rhythmus, mit dem er über jeden willigen Teil ihres Körpers improvisierte.
    Wenn er sich anzog und das Haus verließ, um einen Gig zu spielen, lag Mary Elizabeth in ihrem Bett und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Irgendwann ging sie dann zurück nach unten, ließ erneut Wasser in die Badewanne ein und schrubbte und schrubbte sich in dem Wissen, dass sie niemals sauber würde. Hinterher ging sie wieder in ihr kleines Zimmer und zog hastig die Bettwäsche ab. Dann holte sie ihren Musselinbeutel hervor. Einen nach dem anderen legte sie die Gegenstände auf das Bett: die Manschettenknöpfe ihres Daddys, Clarisa Pools angelaufenes Kreuz, Schwester Daphnas Häubchen, Mazes Entwurf für eine Babydecke, das stockfleckige Notizbuch ihrer Mama.
    Nachdem sie alles durchgezählt und wieder in den Beutel gesteckt hatte, ging sie hinunter an den Esstisch zu ihren Büchern. Dort fand Octavia sie immer, wenn sie dienstag- und donnerstagabends zurück ins Haus gerauscht kam.
    Sie war nicht

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