Wie ein Hauch von Zauberblüten
schleppenden Schritten ging er in dem kleinen Zimmer hin und her. Von Wand zu Wand, vier Schritte, hin und zurück, wie ein Tier, das seinen Käfig haßt und von der Freiheit träumt.
»Warum hat er mir noch nichts davon erzählt?«
»Er weiß es noch nicht! Soll seine Angst vor dem Sterben noch größer werden? Papa, sag es ihm auch nicht! Bitte …«
»Was soll nun werden?!« Olutoni preßte die Fäuste gegen seine Schläfen und lief weiter von Wand zu Wand. Vier Schritte hin, vier Schritte zurück.
»Laß uns gehen, Papa«, sagte sie leise.
»Und unser Kampf für die Unabhängigkeit?!«
»Wenn er durch drei Menschen gefährdet werden kann, ist er nichts wert! Hängt euer großer Sieg von solchen Kleinigkeiten ab? Oh, Himmel, dann versteckt euch im Veld oder in den Bergen und züchtet Ziegen!«
»Dein – dein Mann wird nie schweigen über das, was er hier gesehen hat.«
»Und wenn ich es verspreche, Papa?«
»Das kannst du nicht! Du siehst deinen Mann anders als ich! Er ist mir so ähnlich. Was er hier gesehen hat, kann er nicht einfach hinunterschlucken und vergessen. Er wäre sonst ein Feigling, ein Ehrloser, ein Mittäter beim Kampf gegen sein Volk.«
»Wir werden weit weg sein von dir, Papa, und wir werden wiederkommen, wenn dein Namibia Wirklichkeit geworden ist. Richard wird dann viel zu tun haben in diesem Land.«
»Er wird nie wiederkommen, Luba.« Olutoni blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. Sie sollte nicht sehen, wie sein Gesicht zuckte. »Ich werde meinen Enkel nie sehen, ihn nie auf den Armen tragen, nie mit ihm spielen, nie mit ihm ins Veld fahren und ihm die Tiere zeigen. Aber das muß wohl so sein! Was soll Dr. Oppermann später in Namibia?«
»Er ist Arzt, Papa. Ihr werdet viele gute Ärzte brauchen. Soll dein neues Namibia so werden wie die vielen anderen afrikanischen Staaten, die selbständig wurden?! Sollen Hunderttausende verhungern? Sollen Seuchen euch auffressen? Sollen die Kranken unversorgt hinter einem Busch krepieren? – Du wirst uns rufen müssen, Papa! Allein schafft ihr es nie!«
»Ich weiß nicht, was ich tun werde«, sagte Olutoni dumpf. »Ich weiß es nicht! – Aber du weißt es? Willst du zurück zu Dr. Oppermann? Wirklich?«
»Ich gehöre zu meinem Mann, Vater.«
»Dann geh!«
Luba erhob sich vom Lager, ging an ihrem Vater vorbei, drehte sich plötzlich um, umarmte ihn, küßte seinen Mund und lief ins Freie.
Mit einem tiefen Seufzen setzte sich Olutoni auf das Bett. Er ließ sich nach hinten fallen und lag mit ausgebreiteten Beinen und Armen, als solle er ans Kreuz geschlagen werden. Er weinte.
Es war unbegreiflich, wie Luba das alles herangeschafft hatte.
Oppermann hatte nicht gemerkt, daß sie wieder von seiner Seite weggeschlichen war. Er schlief fest, nachdem Olutoni ihm einige Dosen Bier hinübergeschickt hatte, die Prusius abgeliefert hatte.
»Ich trinke sie nicht!« hatte Oppermann gerufen. »Keinen Schluck! Zum Teufel damit!«
Er wollte die Dosen wegwerfen, aber Mooslachner fiel ihm in den Arm. »Was kann das unschuldige Bier dafür, daß ein Lump es transportiert hat?« sagte er. »Bier wegwerfen! Das können Sie nicht tun, Doktor, in Gegenwart eines Bayern!«
»Mir stinkt dieses Bier!«
Der Pater riß eine Dose auf. »Mir nicht!«
Es kam dann doch noch zu einem kleinen Besäufnis – vielleicht dem letzten, wie Mooslachner sagte. Müde fiel Oppermann auf sein Deckenlager. Er tastete zur Seite, fühlte Lubas glatte, warme Haut, lächelte zufrieden, küßte sie und schlief ein.
Nun wachte er auf, weil sie ihn rüttelte. Auch Pater Mooslachner stand in der Hütte, von seinen dummen Beinschienen befreit, und hatte einen Sack über die breite Schulter geworfen. Der Lauf eines Schnellfeuergewehrs ragte neben seinem Nacken empor.
»Die Jugend verträgt noch nicht einmal vier Dosen warmes Bier!« knurrte er. »Doktor, wachen Sie endlich auf! Wir müssen weg!«
»Weg?« stotterte Oppermann benommen.
»Luba hat das Wunder vollbracht – das nenne ich sogar ein Wunder! –, in kürzester Zeit eine komplette Safari-Ausstattung zu besorgen. Wir haben drei Gewehre, reichlich Munition, drei Blöcke getrocknetes Kudufleisch, vier Wassersäcke, drei Affenfelldecken, zwölf Tafeln Schokolade, ein paar Konserven und eingeschweißtes Vollkornbrot aus Südwestfalen! Luba hat das alles mit größter Fingerfertigkeit aus dem Magazin geklaut. Sie hat noch mehr geholt, aber mehr können wir nicht tragen. Los, stehen Sie auf! Wir müssen los!«
Dr. Oppermann
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