Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
Vom Netzwerk:
Erkundungstour ging, während sie selbst eine Patience nach der anderen legte, um sich zu beruhigen. Als die wartenden Maschinen schließlich ohne Tower-Überwachung, wohl aber mit der Hilfe Allahs in den diesigen Himmel über Kairo starteten, sah sie dies als eine glückliche Fügung des Schicksals an.
    Drei Jahrzehnte später saßen Mutter und Sohn, diesmal zusammen mit seiner Familie, noch einmal in der Lobby des »Winter Palace«. Und in den Geschichten, die er seinen Kindern von den bestandenen Abenteuern erzählte, gab er dem »Fluch der Pharaonen« seine ganz eigene Interpretation. Doch was er damals voller Stolz als Trophäe mit nach Hause brachte, das waren keine sagenumwobenen Grabschätze, sondern die Schläuche und Kanülen der Infusionen.
    Mutter und Sohn hatten es damals geschafft, und sie hatten es gemeinsam geschafft. Die Reise war ein großer Schritt auf einem jahrzehntelangen Weg der Annäherung. Einem Weg, auf dem seine beiden Kinder, ihre Enkel, schließlich die entscheidende Brücke zwischen ihnen bildeten. Auf ihr konnten sie einander behutsam begegnen.

Neunter Ort
    Haus Kirchborn
    Kirchborn, wohin meine Pflegeeltern 1968 ziehen, ist für beide die Erfüllung eines Lebenstraums, auch wenn es nicht die gleichen Träume sind, die sie mit dem neuen Zuhause verknüpfen. Für meinen Pflegevater ist, wie er schreibt, »das Herrlichste an unserem neuen Domizil: Stallungen, Reitbahn, Dressurviereck in Olympiamaßen und Koppeln befanden sich auf demselben Grundstück«. Annemis Lebenstraum dagegen ist wesentlich vielschichtiger.
    Seit dem Tag, an dem sie Necko im Alter von dreizehn Jahren zum ersten Mal begegnet ist, teilt sie mit Liebe, Disziplin, Verantwortungsbewusstsein, Loyalität und schließlich Durchhaltevermögen den Lebensweg ihres Mannes. Annemi ist und bleibt die Frau an der Seite Neckos: des dynamischen Jungunternehmers, des Wirtschaftswunderkönigs, des Dressurweltmeisters, des Olympiasiegers und des Sporthilfe-Gründers. Oft räumt Annemi ihrem Mann im privaten und gelegentlich auch im beruflichen Umfeld Hürden aus dem Weg. Ihr eigener Parcours ist es nicht.
    Haus Kirchborn ist ihr erstes ganz und gar eigenes Projekt. In der Gemeinde Dreieich-Götzenhain, rund zwanzig Kilometer von Frankfurt entfernt auf einem viele Hektar großen Gelände mit eigenem kleinen Teich gelegen, lässt Annemi es nach ihren Ideen und Wünschen vom Firmenarchitekten Helmut Flieger erbauen. Zum ersten Mal ist sie die Schöpferin ihres eigenen Universums. Das von ihr bis ins kleinste Detail geplante neue Zuhause ist wie die kostbare Fassung für einen geschliffenen Diamanten: ihr unter Verzicht eigener Träume geschaffenes Lebenswerk, das nach mehr als einem halben Jahrhundert in Kirchborn seinen krönenden Abschluss finden soll.
    Wenn sich die geschwungenen schmiedeeisernen Torflügel zum Anwesen automatisch öffnen, führt ein von Bäumen eingefasster Kiesweg zur halbkreisförmigen Auffahrt des Herrenhauses. Zu Fuß verirrt sich selten ein Fremder hierher, denn das Grundstück liegt versteckt am Waldrand. Nur zur feierlichen Begrüßung der prominenten neuen Nachbarn wartet die stolze Gemeinde mit der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr, dem Schülerchor und dem in Götzenhain ansässigen Heimatdichter auf, der dem berühmten Neuzugang ein eigenes Gedicht widmet.
    »Wir kamen wirklich ›nach Hause‹«, schreibt Necko in seinen Erinnerungen . In den ersten Jahren ist er auch noch davon überzeugt und genießt nicht nur die Nähe zu den Stallungen, es erfüllt ihn auch mit Stolz, Familie, Freunde und Geschäftspartner auf sein herrschaftliches Anwesen einzuladen. Im Laufe der rund zehn Jahre, die meine Pflegeeltern dort leben, lässt Neckos Begeisterung allmählich nach.
    Er stürzt sich, nachdem er seine Firma 1976 nach zähem Ringen an die Karstadt AG verkaufen muss, auf die von ihm vor Jahren gegründete Stiftung Deutsche Sporthilfe, die zum Wohl der Spitzensportler große Verdienste erwirbt und ihn, seinen Gründer, zurück in die öffentliche Arena führt. Eine neue, von Annemi ersehnte Zweisamkeit wird es nicht mehr geben.
    Für Neckos unternehmerisches Scheitern, das sich in der Übernahme durch Karstadt manifestiert, hat sein Sohn Peter eine Erklärung parat: »Mein Vater hätte erkennen sollen, dass seine soziale Weltanschauung und seine Unternehmerprinzipien nicht länger harmonisierten. Eine der wesentlichen Antriebskräfte für sein unternehmerisches Wirken begann zu zerbröckeln. Die Menschen in

Weitere Kostenlose Bücher