Wie ein Haus aus Karten
prächtiger Eingangshalle sie sich jetzt niederließen, war noch derselbe überwältigende, einladende Ort. Damals jedoch waren sie nicht willkommen.
Leicht war es nicht gewesen, den Vater, bei dem der gemeinsame Sohn aufwuchs, davon zu überzeugen, ihr den vierzehnjährigen Jungen in den Osterferien für eine Reise nach Ägypten zu überlassen, ein Traum, den Mutter und Sohn teilten, auch wenn sie sich in den zurückliegenden Jahren nicht oft hatten sehen können. Nun sollte er in Erfüllung gehen.
Die Reisegesellschaft, der sich Mutter und Sohn angeschlossen hatten, wurde, kaum in Luxor angekommen, mit einer unliebsamen Überraschung konfrontiert. Ihre Zimmer waren belegt. Mit dem Überlegenheitsgefühl europäischer Touristen beschloss die Berliner Reisegruppe zu streiken. Sie besetzte nicht nur die bequemen Brokatsofas der Lobby, sondern ließ sich in Ermangelung weiterer Sitz- und Schlafgelegenheiten auf den flauschigen Teppichen nieder. Nach zwei Nächten ohne Schlaf, die den empörten Schrei nach Gerechtigkeit allmählich versiegen ließen, während sich bleierne Müdigkeit breitmachte, landete die erschöpfte Reisegruppe auf einem der unzähligen ausrangierten Touristendampfer, die in Fünfer-Reihen hinter- und nebeneinander auf dem Nil ankerten und auf ihre Verschrottung warteten.
Ihr Sohn war der Einzige, der diese Entwicklung als ein unerwartetes Abenteuer genoss. So lange, bis er sich durch die unhygienischen Bedingungen eine schwere Darminfektion zuzog. Nach dem kläglich gescheiterten Protest schloss sich die Reisegruppe noch einmal zusammen, diesmal in Sorge um den Vierzehnjährigen, den sie als jüngsten und unternehmungslustigsten Reisebegleiter ins Herz geschlossen hatte.
Als die Gesellschaft, wie im Reiseprogramm vorgesehen, schließlich in Abu Simbel ankam, verbesserte sich zwar die Unterbringung, nicht aber der Zustand ihres Sohnes. Das Fieber stieg weiter an. Als er nachts im Delirium zu phantasieren begann, klopfte die Frau in Panik an jede Zimmertür des Hotels, ob nicht jemand Antibiotika bei sich habe. Da es in Abu Simbel kein Krankenhaus gab, ließ sie einen Arzt ins Hotel rufen, einen älteren, kleinen, quirligen Mann mit unruhigen, aber freundlichen Augen, zu dem sie Vertrauen fasste. Zu ihrem Sohn gewandt, meinte er, während er den mitgebrachten Tropf in Ermangelung des dazugehörigen Ständers an der Wandlampe über dem Bett befestigte, er werde bald wieder gesund werden, schließlich sei er groß und stark wie ein Pharao. Zwei Tage und zwei Nächte saß sie am Bett ihres Sohnes und beobachtete seinen unruhigen, von Fieberschüben unterbrochenen Schlaf. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie eine solche Angst empfunden.
Allmählich stabilisierte sich der Gesundheitszustand des Jungen. Doch es gab nur ein kurzes Aufatmen. Als sie endlich im Flugzeug nach Kairo saßen, der ersten Station auf dem Weg nach Hause, betraten zwei bewaffnete Soldaten die Maschine und erklärten in gebrochenem, kaum verständlichem Englisch, dass das Flugzeug nicht starten werde und niemand es verlassen dürfe. Eine Begründung gab es nicht. Auch ihre Bitte, mit ihrem kranken Kind von Bord gehen zu dürfen, wurde abgelehnt.
Sie lagerte ihren Sohn mit Hilfe anderer Passagiere auf dem Boden zwischen den Sitzreihen. Zur Angst um ihn, die sich wie Blei auf ihre Brust legte und ihr das Atmen erschwerte, der zunehmende Sauerstoffmangel tat sicher ein Übriges, kam ihre Hilflosigkeit. Nach einer langen, bangen Nacht, in der sich unter den Passagieren eine Lethargie aus Angst und Ohnmacht ausbreitete, unterbrochen nur von dem monotonen Gemurmel der Gebete in ihr unverständlichen Sprachen, startete die Maschine am nächsten Mittag gen Luxor. Wochen danach erfuhren Mutter und Sohn, dass in den frühen Morgenstunden vor ihrer Ankunft in Kairo die Mörder des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, die fünf Al-Jihad-Attentäter, hingerichtet worden waren. Vermutlich hatte man Anschläge befürchtet und darum den Luftraum über Kairo gesperrt.
Als Mutter und Sohn Tage später im Kairoer Flughafen auf den Abflug nach Frankfurt warteten, stieg dichter schwarzer Rauch vom Tower auf und hüllte das Flughafengebäude innerhalb weniger Minuten in eine undurchdringliche Wolke. Der Tower brannte. Auf dem gesamten Flughafengelände fiel die Elektrizität aus, Soldaten hinderten die Menschen mit Maschinengewehren daran, das Flughafengebäude zu verlassen, in dem ihr Sohn mit neuerwachter Energie und alter Taschenlampe auf
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