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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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dass meine Großmutter Neckermann diese Nachricht gehört hat. Es würde deren Vorahnung erklären. Ihr Bericht endet damit, dass mein Vater einen Tag vor Antritt dieser Reise bei ihr angerufen hat. Er besteht darauf, dass sie sich, wo immer sie ist, jeden Tag telefonisch mit ihm in Verbindung setzt. Dazu ist es nicht mehr gekommen.
    Jula Neckermanns Bericht:
    Mit meiner Großmutter Neckermann habe ich nie über den Tag des Unfalls gesprochen. Ich will sie nicht traurig machen und mich auch nicht. Ruth Gatzke erinnert sich, dass meine Großmutter auf die Nachricht von der Tragödie mit den Worten reagiert haben soll: »Vielleicht war es gut so.« Was sie mit einem solchen Ausspruch gemeint haben könnte, dafür hat auch Ruth keine konkrete Erklärung. Es ist nur eine Ahnung, wenn sie mir sagt: »Dein Vater hat gefährlich gelebt.«
    Mit einer Heftklammer zusammengehalten, die im Laufe von Jahrzehnten durchgerostet ist und das Papier beschädigt hat, sind folgende Unterlagen: die Rechnung der Bau- und Möbeltischlerei Leonhard Fischer in Zusmarshausen vom 15. 1. 1948 für die Anfertigung von drei Särgen zum Preis von 39,00 Mark; eine weitere Rechnung über »Bezüge mit Einlage und Kissen zum Betten der Toten« über ebenfalls 39,00 Mark; dazu eine Rechnung über Überführungskosten nach Würzburg vom 16. 1. 1948 von 150,00 Mark. Die Beerdigungskosten betragen 109,50 Mark. Auch die drei Sterbeurkunden sind in meinem Besitz. Ihnen zufolge hat sich der Unfall am 15. Januar um 1.57 Uhr ereignet. Die Genauigkeit der Angabe basiert auf der bei meiner Mutter gefundenen, im Moment des Aufpralls stehengebliebenen Armbanduhr.
    Die Todesanzeige trägt das Datum vom 15. Januar und den Text: »Unsere geliebten Eltern Dr. Hans Lang und Frau Mady, geborene Neckermann, und unser lieber, einziger Bruder Hans wurden uns heute infolge eines tragischen Autounfalls durch den Tod entrissen. In tiefer Trauer: Uschi, Jula und Eva Kristine, Frau Jula Neckermann.«
    Das Gedenkbild für meine Eltern und meinen Bruder ist eine dreifach gefaltete Karte in der Form von Heiligenbildchen, wie sie im Kommunionsunterricht bei gutem Betragen verteilt werden. Auf der einen Seite ist mein Vater abgebildet, darunter steht: »Dr. Hans Lang, geb. zu Schweinfurt am 27. 8. 1906, gestorben am 15. 1. 1948 in Folge eines Autounfalls«. Auf dem Foto ist seine Fliege ein wenig verrutscht, der Anzug elegant. Sein Blick ist nicht unfreundlich, aber streng und skeptisch. Er sieht müde aus. Gegenüber ist das Bild meiner Mutter, auch sie schaut ernst. Sie ist ungeschminkt. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre haben Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen, doch man erkennt noch, wie schön sie ist. Da steht: »geb. zu Würzburg am 18. 5. 1909«. Ihr Todesdatum ist dasselbe wie das ihres Mannes und ihres Sohnes. Auf dem dritten Gedenkbildchen ist ein ernster junger Mann zu sehen, fast noch ein Kind. Sein Gesicht ist schmal, und seine sanften Augen blicken unter langen schwarzen Wimpern verträumt in die Ferne.
    »Dein Wille, Herr, ist unergründlich. In Demut beugen wir uns Dir«, ist auf der Vorderseite des Klappkärtchens zu lesen. Meine Großmutter hat diesen Spruch ausgewählt. Vielleicht hat sie sich tatsächlich dem Willen des Herrn gebeugt, denn sie ist eine fromme Frau. Ich habe es nicht getan. Selbst eine so unterwürfige Geste setzt einen eigenen Willen voraus. Mit mir aber geschieht etwas, das ich nicht begreifen, gegen das ich mich nicht einmal wehren kann.
    Das Bibelzitat auf dem Grabstein des Lang’schen Familiengrabs auf dem Würzburger Hauptfriedhof, in fränkischen Sandstein eingemeißelt und von der Witterung fast zerfressen, hat mich dagegen versöhnlicher gestimmt: »Ich gehe zum Herrn, aber ich werde euch wiedersehen und euer Herz wird sich freuen.« Getröstet und ein Leben lang begleitet aber hat mich der Spruch auf dem Nachbargrab: »Dem Auge fern, dem Herzen ewig nah.« Dazwischen ein Meer von Sehnsucht.
    Die Beerdigung findet am 18. Januar 1948 statt. Es ist der kälteste Winter seit Jahrzehnten. Der schneidende Frost lässt die Gesichter kleiner erscheinen und die Tränen zu Eis erstarren. Der Frost zieht in die Mäntel und unter die Kleidung, aber es liegt kein Schnee. Die Beerdigung ist Stadtgespräch in Würzburg. Nach Schätzung meines Cousins Helmut Knab müssen es mehrere Tausend Menschen gewesen sein, die den drei Särgen folgten. Dafür sorgt nicht nur der stadtbekannte Name der Familie Neckermann, sondern auch der Ruf, den sich

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