Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
losgeht. Wir bekommen sehr häufig Unwetterwarnungen im Wetterbericht, deshalb glauben die Leute solche Prognosen nicht mehr. Wenn es nicht so schlimm kommt wie angekündigt, beschweren wir uns. Und wenn der Sturm noch dramatischer zuschlägt, als vorhergesagt wurde, be schweren wir uns erst recht. Wenn die Vorhersage aber eintrifft, beschweren wir uns ebenfalls und sagen, der Wetterbericht irrt sich so oft, deshalb konnte man un möglich wissen, dass er diesmal ausnahmsweise Recht hat. Die Leute brauchen einfach etwas, worüber sie sich beschweren können.«
»Wie die Leute am Grill?«
Grinsend nickte Alex. »Ja, aber im Grunde sind sie alle sehr nett. Sie sind fleißig, ehrlich und gutmütig. Jeder Einzelne von ihnen wäre sofort bereit gewesen, auf den Laden aufzupassen, wenn ich ihn darum gebeten hätte, und anschließend würden sie jeden Penny gewissenhaft abrechnen. So ist das hier. Denn tief in seinem Inneren weiß jeder, dass in solch einer kleinen Stadt alle einander brauchen. Es ist großartig – auch wenn es eine Weile gedauert hat, bis ich mich daran gewöhnt habe.«
»Sie sind nicht von hier?«
»Nein. Meine Frau war von hier, ich stamme aus Spokane, Washington. Als ich hierhergezogen bin, dachte ich am Anfang, ich kann unmöglich in einer Kleinstadt leben. Noch dazu in den Südstaaten. Kein Mensch interessiert sich hier dafür, was der Rest der Welt denkt. Damit muss man erstmal zurechtkommen. Aber dann … mit der Zeit wird es immer besser. Mir hilft es, mich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren.«
Mit leiser Stimme fragte Katie: »Was sind die wirklich wichtigen Dinge?«
»Das ist bei jedem anders – es kommt auf den Einzelnen an, nicht wahr? Für mich geht es im Moment besonders um meine Kinder. Hier ist ihr Zuhause. Und nach allem, was sie durchgemacht haben, ist gerade Stabilität für sie lebenswichtig. Sie müssen beide wissen, dass ich immer da bin, wenn sie mich brauchen. Dieses Städtchen und der Laden, sie geben ihnen Sicherheit, hier fühlen sie sich geborgen. Und das ist es, was ich mir wünsche. Was ich brauche.«
Er verstummte. Auf einmal war es ihm peinlich, dass er so viel geredet hatte. »Dabei fällt mir ein – wohin fahre ich überhaupt?«
»Immer geradeaus. Nach einer Weile kommt eine Schot terstraße, in die müssen Sie einbiegen, ziemlich bald nach der großen Kurve.«
»Sie meinen die Schotterstraße bei der Plantage?«
Katie nickte. »Ja, genau.«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass diese Straße irgendwo hinführt.« Er runzelte die Stirn. »Das ist aber eine ganz schön lange Strecke!«, sagte er. »Wie weit ungefähr? Zwei Meilen?«
»Ach, so schlimm ist es nicht.«
»Vielleicht bei schönem Wetter. Aber heute müssten Sie ja praktisch nach Hause schwimmen. Bei dem Regen kann man unmöglich so weit zu Fuß gehen. Und Kristens Bild wäre völlig ruiniert worden.«
Alex sah, dass ein Lächeln über Katies Gesicht huschte, aber sie sagte nichts.
»Jemand hat mal erwähnt, dass Sie im Ivan’s arbeiten. Stimmt das?«, fragte er.
»Ja. Ich habe im März dort angefangen.«
»Und wie finden Sie es?«
»Ganz okay. Es ist ein Job – aber der Besitzer ist sehr freundlich zu mir.«
»Ivan?«
»Sie kennen ihn?«
»Jeder kennt Ivan. Wissen Sie schon, dass er sich im Herbst immer als General der Konföderation verkleidet, wenn die berühmte Schlacht von Southport aus dem amerikanischen Bürgerkrieg nachgestellt wird? Als General Sherman die Stadt in Schutt und Asche gelegt hat? Das ist alles gut und schön – nur dass es im ganzen Bürgerkrieg nie eine Schlacht von Southport gegeben hat. Southport hieß damals noch gar nicht Southport, sondern Smithville. Und General Sherman ist nie bis in diese Gegend hier vorgedrungen.«
»Ehrlich?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Ivan sehr – er ist ein guter Mensch, und das Restaurant ist eine wichtige Institution hier. Kristen und Josh lieben die frittierten Klößchen aus Maismehl, die wir hier im Süden ›Hushpuppies‹ nennen, und Ivan begrüßt uns immer sehr freundlich, wenn wir kommen. Aber manchmal frage ich mich doch, was ihn antreibt. Seine Familie ist in den fünfziger Jahren aus Russland nach Southport gekommen. Das heißt, er ist zwar hier geboren, aber in seiner Großfamilie weiß vermutlich niemand, was der Bürgerkrieg wirklich war. Und Ivan verbringt ein ganzes Wochenende damit, mit seinem Schwert herumzufuchteln und Befehle zu rufen, mitten auf der Straße vor dem
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