Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
verlangten die Arbeitgeber, dass man sich auswies. Aber wie konnte sie sich eine neue Identität beschafft haben? Kevin wusste, dass es eine bewährte Methode gab: Man musste jemanden ausfindig machen, der vor kurzem gestorben war, und dann die Identität des Verstorbenen annehmen. Der erste Schritt war leicht, weil Erin ja oft genug in die Bibliothek ging. Vielleicht durchsuchte sie auf Mikrofilm die Nachrufe und hielt Ausschau nach einem Namen, den sie verwenden konnte. Sie hatte das alles geplant, während sie angeblich in den Regalen nach interessanter Lektüre suchte. Und er hatte sich extra eine Stunde freigenommen, um sie dort hin zu fahren. Er war nett zu ihr gewesen, und sie hatte ihn betrogen. Es machte ihn rasend vor Wut, wenn er daran dachte, dass sie ihn dabei heimlich ausgelacht hatte. Bei diesem Gedanken geriet er so außer sich, dass er mit einem Hammer das gesamte Porzellanservice zertrümmerte, das sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Nachdem er sich auf diese Weise abreagiert hatte, vermochte er sich wieder mit seinen Plänen zu beschäftigen. Im März und April verbrachte er viele Stunden in der Bibliothek, so wie sie es getan hatte, und suchte nach ihrer neuen Identität. Aber selbst wenn sie einen Namen gefunden hatte – wie war es ihr gelungen, sich die entsprechenden Unterlagen zu beschaffen? Wo lebte sie jetzt? Und weshalb war sie immer noch nicht nach Hause gekommen?
Diese Fragen trieben ihn pausenlos um, und manchmal konnte er nicht aufhören zu weinen, weil er sie so vermisste. Ach, wenn sie doch heimkäme! Er wollte nicht mehr allein sein. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass sie ihn verlassen hatte, und er wurde dermaßen zornig, dass er außer ihrem abgrundtiefen Egoismus nichts mehr sehen konnte. Und er hatte nur noch einen Wunsch: Er wollte sie umbringen.
Der Juli kam, und die Luft war wie der Atem eines Drachen: heiß und feucht. Der Horizont flimmerte wie eine Fata Morgana. Das Independence-Day-Wochenende ging vorüber, eine neue Arbeitswoche begann. Die Klimaanlage im Haus war kaputt, aber Kevin hatte es noch nicht über sich gebracht, den Handwerker zu rufen. Morgens, auf dem Weg zur Arbeit, hatte er immer starke Kopfschmerzen. Aus praktischer Erfahrung wusste er, dass Wodka besser half als eine Kopfschmerztablette, aber ganz verschwanden die Schmerzen nie, er spürte immer ein lästiges Pochen in den Schläfen. Er ging nicht mehr in die Bibliothek, und wenn Coffey und Ramirez sich nach seiner Frau erkundigten, antwortete er nur, es gehe ihr gut. Er bekam einen neuen Partner namens Todd Vannerty, der gerade erst befördert worden war. Todd war zufrieden damit, dass Kevin die Führung übernahm, wenn sie Zeugen oder Opfer befragten.
Kevin teilte ihm mit, dass das Opfer den Mörder fast immer gekannt habe. Was allerdings oft nicht sofort offensichtlich sei. Am Ende ihrer ersten gemeinsamen Woche wurden sie in eine Wohnung gerufen, die nur drei Querstraßen von der Wache entfernt lag. Ein zehnjähriger Junge war an einer Schusswunde gestorben. Der Schütze war ein Mann, der erst vor kurzem aus Griechenland in die USA eingewandert war. Weil sein Heimatland im Fußball einen wichtigen Sieg errungen hatte, freute er sich so, dass er mit seiner Pistole in den Boden schoss. Die Kugel drang durch die Decke der darunterliegenden Woh nung und tötete den Jungen, der gerade eine Pizza aß. Er wurde am Kopf getroffen und sackte nach vorn, so dass sein Gesicht in der Pizza landete. Als Kevin und sein Partner den Jungen sahen, klebten an seiner Stirn Käse und Tomatencreme. Seine Mutter schrie und konnte nicht damit aufhören, und als der Grieche in Handschellen abgeführt wurde, wollte sie sich auf ihn stürzen. Dabei fiel sie die Treppe hinunter, und man musste einen Krankenwagen rufen.
Nach Ende der Schicht gingen Kevin und Todd in eine Kneipe. Todd behauptete, er könne vergessen, was er gesehen habe, aber in weniger als fünfzehn Minuten kippte er drei Bier hinunter. Dabei erzählte er Kevin, er sei einmal durch die Polizeiprüfung gefallen, erst beim zweiten Anlauf habe er sie geschafft. Kevin trank Wodka, aber wegen Todd bat er den Barkeeper, einen Schuss Cranberrysaft dazuzugeben.
Es war eine Cop-Kneipe. Viele Polizisten, niedrige Preise, gedämpftes Licht. Und Frauen, die sich gern an Cops ranmachten. Der Barkeeper erlaubte den Leuten, dass sie rauchten, obwohl es gesetzlich verboten war, aber die meisten Raucher hier waren ja Vertreter des Gesetzes. Weil Todd nicht
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