Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
der Reise nach Southport. Sie vermochte inzwischen ziemlich gefasst über ihre Erlebnisse zu sprechen, fast so, als ginge es um eine andere Person. Als sie fertig war, schüttelte er nur den Kopf.
»Warum schüttelst du den Kopf?«
»Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie du dich gefühlt hast, als du nach dem letzten Gespräch mit Kevin aufgelegt hast. Als er immer noch dachte, du bist zu Hause. Ich wette, du warst sehr erleichtert.«
»Ja, das stimmt. Aber ich hatte auch furchtbare Angst. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja noch keinen Job und wusste nicht, was ich tun soll.«
»Aber du hast es geschafft.«
»Ja, ich hab’s geschafft.« Katies Blick war auf irgendetwas in der Ferne gerichtet. »Ich hätte mir niemals vorgestellt, einmal dieses Leben zu führen.«
»Ich weiß nicht, ob es auf der Welt irgendjemanden gibt, der genau das Leben führt, das er sich ausgemalt hat. Wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Auch wenn einem das manchmal völlig unmöglich vorkommt.«
Katie wusste, dass er damit nicht nur sie, sondern auch sich selbst meinte, und eine Weile lang schwiegen sie beide.
»Ich liebe dich«, flüsterte er dann leise.
Sie schmiegte sich an ihn und strich ihm zärtlich über das Gesicht. »Ich weiß. Und ich liebe dich auch.«
KAPITEL 26
Es war Ende Juni. Die Blumengärten in Dorchester, die im Frühjahr in prächtigen Farben geblüht hatten, verwelkten langsam und wurden braun. Schwülfeuchte Luft kam angekrochen, und in den engen Gassen im Zentrum von Boston roch es nach vergammelten Lebensmitteln, nach Urin und Moder. Kevin sagte zu Coffey und Ramirez, er und Erin würden das Wochenende zu Hause verbringen, sich ein paar Filme ansehen und ein bisschen im Garten arbeiten. Coffey hatte sich nach Provincetown erkundigt, und Kevin hatte ihm Lügengeschichten von dem Bed-and-Breakfast und von allen möglichen Restaurants aufgetischt. Coffey war begeistert und sagte, da sei er überall auch schon gewesen und ob sie in einem bestimmten Lokal die Krabbenpuffer bestellt hätten. Nein, erwiderte Kevin, aber das nächste Mal werde er daran denken.
Erin war verschwunden, doch Kevin suchte sie immer noch überall. Er konnte nicht anders. Wenn er durch Boston fuhr und irgendwo goldblonde schulterlange Haare sah, verschlug es ihm den Atem. Er hielt Ausschau nach ihrer schmalen Nase, den grünen Augen, nach ihrem graziösen Gang. Manchmal stand er vor der Bäckerei und tat so, als würde er auf sie warten.
Er hätte sie längst finden müssen, selbst wenn sie sich nicht mehr in Philadelphia aufhielt. Menschen hinterließen Spuren. In Philadelphia hatte sie einen falschen Namen und eine falsche Sozialversicherungsnummer verwendet, aber mit dieser Masche kam sie auf Dauer nicht durch, es sei denn, sie war bereit, auch weiterhin in billigen Hotels zu wohnen und alle paar Wochen den Job zu wechseln. Bisher hatte sie allerdings noch nirgendwo ihre eigene Sozialversicherungsnummer angegeben. Ein Kollege aus einem anderen Bezirk, der über bestimmte Beziehungen verfügte, hatte das für ihn überprüft. Dieser Cop war der einzige Mensch, der wusste, dass Erin fort war, aber er hielt den Mund, weil Kevin wusste, dass er eine Affäre mit seiner minderjährigen Babysitterin hatte. Kevin fühlte sich immer ganz schmutzig, wenn er mit ihm sprechen musste, weil dieser Typ eigentlich ins Gefängnis gehörte, denn in der Bibel stand: Es soll keine Unkeuschheit zwischen euch geben. Aber im Moment brauchte er ihn noch, damit er Erin finden und nach Hause holen konnte. Mann und Frau mussten zusammenbleiben, weil sie sich das vor Gott und der Familie gegenseitig geschworen hatten.
Kevin hatte gewusst, dass er sie im März finden würde. Er war sich sicher gewesen, dass sie im April zurückkam. Er hatte felsenfest geglaubt, dass im Mai ihr Name irgendwo auftauchen würde. Aber das Haus blieb leer. Jetzt war schon Juni, und er konnte sich oft nicht konzentrieren. Manchmal schaffte er es nur mit Mühe und Not, das Allernotwendigste zu erledigen. Der Wodka half ihm auch nicht weiter. Außerdem musste er Coffey und Ramirez ständig etwas vorlügen.
So viel war sicher: Erin war nicht mehr auf der Flucht. Sie konnte nicht bis in alle Ewigkeit von einer Stadt in die nächste fahren und sich überall einen neuen Job suchen. Das passte nicht zu ihr. Und es bedeutete, dass sie unter einer falschen Identität irgendwo lebte. Sie brauchte eine echte Geburtsurkunde und eine Sozialversicherungsnum mer. Heutzutage
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