Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
zu nehmen. Sie hatte gebettelt, geschmeichelt, jedes Argument, das ihr in den Sinn kam, verwendet, war sogar so weit gegangen, ihn an seine Liebe zu ihrer Mutter zu erinnern. Heiße Tränen blendeten sie. Mein Gott, kein Wunder, dass er sie so sehr verachtete. Genau wie Grady seine Hure.
»Du müsstest ein Mann sein, um das zu verstehen, Banner. Aber wenn ein gewisser Punkt überschritten ist, gibt es kein Zurück mehr. Ein Mann verliert die Beherrschung. Hinterher habe ich mich selbst gehasst, konnte nicht glauben, dass ich es getan habe. Ich schwöre, dass ich hinterher weder sie noch eine andere Frau angerührt habe. Ich wollte nur dich. Ich liebe dich.«
Sie wischte ihre Tränen weg, und Gradys Hoffnung stieg, da er glaubte, sie weine wegen ihm. Als sie sich ihm zuwandte, fragte sie: »Was willst du von mir? Warum bist du hergekommen?«
»Ich will dich zurück. Ich will, dass wir heiraten.«
»Das ist unmöglich.«
Widerspenstig schüttelte er den Kopf. »O nein. Nicht wenn du mir vergibst. Banner, ich flehe dich an. Ich habe einen Fehler gemacht. Einen unglückseligen Fehler. Zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt in meinem Leben. Lass mich nicht ewig dafür bezahlen. Sag, dass du darüber nachdenkst, mich zurückzunehmen. Ich kann ohne dich nicht leben. Ich liebe dich so sehr.«
Sie staunte, wie leer die Worte klangen. Erst vor wenigen Wochen hatte sie geglaubt, sie liebte ihn, als er ihr gestand, sie zu lieben. Aber hatte sie ihn wirklich geliebt? Was empfand sie jetzt? Nur Traurigkeit. Aber Liebe? Mehr und mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass das Wort bedeutungslos war. Es wurde für eine Vielzahl von Gefühlen angewendet aus Mangel an einem anderen ebenso umfassenden Begriff.
Wer war sie denn, Grady für seinen Sündenfall zu verurteilen, wenn ihrer genauso tief war? Er hatte sie und ihre Liebe betrogen, aber hatte Banner nicht auch diejenigen, die sie liebten, betrogen? Ihre Eltern? Ma und Lee und Micah? Jake selbst?
Jake. Sie war in ihn verliebt. Da, jetzt hatte sie es zugegeben.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihn geliebt, und in ihr schlummerte solch ein glückliches, kribbeliges Gefühl, das jedes Mal, wenn sie ihn sah, an die Oberfläche stieg und überfloss. Es war eine normale Liebe gewesen, eine, die sie offen ausdrücken durfte.
Aber diese Liebe, diese Liebe war jetzt anders. Sie hatte ihr nichts als Elend gebracht. Sie war zur Heimlichkeit verurteilt. Sie durfte nicht gefeiert werden. Sie durfte einfach nicht sein.
Grady bot ihr einen sicheren Ausweg an. Wenn Banner ihn heiratete, würde sie, wenn nicht glücklich, so doch wenigstens zufrieden leben können. Sie wäre von diesem Kampf erlöst, sich am liebsten das Herz herauszureißen, damit es nicht brechen konnte. Aber sie hatte Vorbehalte gegenüber Gradys Vorschlag. Er war nicht länger der adrette junge Mann, der sich seiner selbst und seiner Zukunft sicher war. Der Makel seiner Taktlosigkeit würde ihn noch eine lange Zeit verfolgen. Seine Entschuldigungen schienen aufrichtig, aber konnte sie ihm je wieder trauen?
Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: »Ich weiß, dass du mir vielleicht nicht glaubst. Aber alles, was ich gesagt habe, ist wahr, Banner. Ich bete dich an. Du bist die einzige Frau, die ich je gewollt habe.«
Sie fragte sich, ob er immer noch bereit wäre, sie zu heiraten, wenn er wüsste, dass sie keine Jungfrau mehr war. Wenn Grady sich verändert hatte, so hatte sie sich noch mehr verändert. Die strahlende, muntere Banner Coleman, der er seinen ersten Antrag gemacht hatte, gab es nicht mehr.
»Ich glaube nicht, dass wir je wieder …«
Er hob die Hand. »Gib mir heute keine Antwort. Denk einfach darüber nach.«
Plötzlich fühlte Banner sich müde, erschöpft bis zum Zusammenbruch. Sie wollte einfach nur, dass er ging. »Ich werde darüber nachdenken. Ich brauche Zeit.«
»Ich verstehe.« Er fasste genug Mut, um ihre Hand zu nehmen und sie an seine Lippen zu führen. Er küsste sie zärtlich, bevor er sie wieder losließ. Ihre Hand fiel schlaff herunter und baumelte lose an ihrem Arm. »Ich werde nicht aufgeben, bis du Ja sagst, Banner.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür hinaus.
Banner sank auf einen Stuhl, begrub ihr Gesicht in den Händen und weinte. Wochenlang, seit der Party und jenem grässlichen Nachmittag davor, hatte sie ihre Tränen mit sturem Willen zurückgehalten. Jetzt flossen sie ihr in heißen, salzigen Strömen aus den Augen.
Wie einfach wäre das Leben gewesen,
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