Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
wieder. Er machte ein möglichst drohendes Gesicht, obwohl ihm heiter zumute war. Priscilla hatte keine leeren Versprechungen abgegeben. Sie versorgte ihn mit der Munition, mit der er die Colemans in die Knie zwingen konnte.
»Während der Rekonstruktionszeit«, begann Sugar mit leiser Stimme, »arbeitete ich in einer dreckigen Eisenbahnstadt in Arkansas.«
»1872«, ergänzte Priscilla, die wusste, in welchem Jahr sie mit ihren Eltern von Tennessee nach Texas gezogen war. Das Jahr ihrer Befreiung.
Sugar nickte. »Ich arbeitete für eine Puffmutter namens LaRue. Das war nicht ihr richtiger Name. Sie war …«
»Bleib bei Ross Coleman«, drängte Priscilla, die sich bemühte, ihre Ungeduld zu verbergen. »Wann hast du ihn zum ersten Mal gesehen?«
»Also, wir, ähm, unsere Kutsche war vor der Stadt zusammengebrochen. Ein Siedlertreck kampierte in der Nähe des Baches dort. Sie schickten uns einen Mann zuhilfe. Sobald er uns aus dem Schlammloch herausgezogen hatte, ritt er mit uns in die Stadt zurück. Wir wollten alle am liebsten etwas mit ihm anfangen, weil er so gut aussah und so. Aber ich glaube nicht, dass er eine von uns genommen hätte. Auf jeden Fall hatten wir dann mit diesen Eisenbahnleuten viel zu tun. Die waren so geil wie eine Herde Büffel. Aber ihn habe ich nicht mehr gesehen.«
Grady blickte Priscilla fragend an. Ein Besuch in einem Bordell war kein Verbrechen. Wenn es das wäre, säße fast die ganze männliche Bevölkerung hinter Gittern. Priscilla lächelte selbstgefällig.
»Weiter, Sugar«, sagte sie.
Sugar stärkte sich mit einem weiteren Whisky. »Wir hätten diesen Ross Coleman vergessen, wenn nicht später ein Detektiv hinter ihm her gewesen wäre. An seinen Namen kann ich mich nicht erinnern, aber er hatte Colemans Schwiegerpapa bei sich.«
»Lydias Vater?«, fragte Grady.
Priscilla schüttelte den Kopf. »Nein. Es muss der Vater von Ross’ erster Frau gewesen sein.«
»Lees Mutter«, überlegte Grady. »Warum suchten sie Coleman?«
Mit jeglichem Mangel an Anstand kratzte Sugar sich unter dem Arm. »Eine unserer Huren war umgebracht worden. Niemand wusste, wer der Täter war. Mr Coleman konnte es nicht gewesen sein, denn er war in jener Nacht gar nicht da gewesen.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Grady und schüttelte verwirrt den Kopf.
»Also, das Seltsame war, dass sie sagten, Colemans Name sei gar nicht Coleman.«
»Nicht Coleman?« Grady richtet sich gerader auf seinem Stuhl auf und beugte sich über den Tisch.
»Nein. Er heißt Clark, glaube ich. Sonny Clark. Ist mit den James-Brüdern geritten. Ihr könnt euch vorstellen, wie aufgeregt wir Mädchen waren, einem aus der James-Bande begegnet zu sein. Die waren damals auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes. Dieses Miststück LaRue hat ein Vermögen damit gemacht, als sie damit warb, dass er ihr Etablissement besucht hatte. Natürlich, nachdem er getötet worden war …«
»Getötet?«
»Jetzt wird es interessant«, schnurrte Priscilla. »Erzähl ihm, was du mir erzählt hast, Sugar.«
»Eine Weile später, vielleicht einen oder zwei Monate, bekam Madame LaRue einen Brief von diesem Detektiv, in dem es hieß, dass Sonny Clark erschossen worden sei. Wir fanden es wirklich traurig, dass er getötet worden war, wo er doch so gut aussah und so eine hübsche Frau hatte und so.«
Sie trank wieder aus ihrem Glas. »Jahrelang habe ich nicht mehr daran gedacht. Als ich dann bei Priscilla anfing und herausfand, dass sie bei diesem Treck gewesen war, haben wir darüber geredet. Ich fand es seltsam, als sie erwähnte, dass die Colemans in Osttexas leben.« Sie zuckte die Achseln. »Aber das ging mich ja nichts an. Ich habe ihn und seine Frau nur an jenem einen Tag gesehen. Wenn nicht später solch ein Theater wegen seines Namens veranstaltet worden wäre, hätte ich mich gar nicht mehr an ihn erinnert.«
Grady saß mucksmäuschenstill. Er versuchte, die Informationen, die Sugar ihm gegeben hatte, in eine logische Ordnung zu bringen, und sie zu verdauen. Ross Coleman war mit den James-Brüdern geritten? Ein Räuber? Ein Mörder? Lebte all diese Jahre unter falschem Namen?
Vor Freude hätte er am liebsten gejauchzt und sich übermütig auf dem Boden herumgekugelt. Aber er bezwang sich und sprach Sugar mit ernstem Gesicht an. »Gibt es sonst noch irgendetwas?«
»Nein.«
»Sie sind sehr hilfsbereit gewesen und haben wichtige Informationen geliefert, Miss …?«
»Dalton«, erwiderte sie affektiert.
»Morgen erhalten Sie Ihre
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