Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
nicht! Und Sie sind ihre Lehrerin. Genau wie diese Dame in Die Supernanny ! Sie müssen aber klug sein, dass Sie die Taubstummensprache und dergleichen beherrschen.«
»Meine Schwester war taubstumm. Zwangsläufig lernte ich das Zeichensystem schon genauso früh wie meine Muttersprache.«
»Ist das sehr schwierig?«
»Na ja, es geht so«, antwortete Lauri beiläufig. »Warum versuchen Sie und Ihre Kinder nicht, es zu lernen? Kommen Sie einfach jeden Nachmittag vorbei, und dann bringe ich Ihnen die Gebärdensprache bei.«
»Ist das Ihr Ernst? Das wäre toll. Dann könnten die Kinder sich unterhalten – ähm, ich meine, Sie wissen schon.«
»Ja, unterhalten ist schon richtig«, bekräftigte Lauri.
»Prima, unterhalten wir uns mit Jennifer.«
»Machen Ihre Kinder noch Mittagsschlaf?«
»Sonst wären sie ehrlich gesagt nicht zu ertragen.«
Lauri lachte. »Wie wär’s, wenn Sie anschließend mit ihnen herkommen?«
»Klasse Idee, super, Lauri! Danke.« Betti hopste vom Küchenhocker, nahm sich eines der Kochbücher und blätterte darin. »Ich wette, so was Deftiges essen Sie gar nicht. Sie sind ja nur ein Strich in der Landschaft! Ich gäbe viel dafür, wenn ich so schlank und zierlich wäre wie Sie. Da haben Sie Glück. Wenn Sie ein Baby bekommen, nehmen Sie vermutlich noch ab und nicht dreißig Pfund zu wie ich. Was glauben Sie, ob Ihre Haut zu Schwangerschaftsstreifen neigt? Mein Arzt versprach mir hoch und heilig, ich bekäme keine. Ich bin bald verrückt geworden, als ich doch welche kriegte. Aber Sie sicher nicht. Ich habe auch gestillt. Eine Freundin meinte nämlich, das wäre gut für die Figur. War es auch, solange ich die Kleinen stillte. Und nachher, igitt!« Sie strich sich abschätzig über die Hüften. »Ich bin aufgegangen wie ein Hefekuchen! Denken Sie, ein Baby würde Ihre Figur ruinieren?« , fragte Betty allen Ernstes.
Lauri lauschte aufmerksam. Sie fand es faszinierend, dass ihre Nachbarin in einem fort reden konnte und blitzartig das Thema wechselte. Als sie Bettys Frage realisierte, errötete sie und erwiderte leise: »Ich glaube nicht, dass ich Kinder haben werde.«
»Echt nicht? Ich kann mir ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen! Möchte Drake denn keine mehr?«
»Wie bitte?«, entfuhr es Lauri. Prompt fiel ihr das Buch aus der Hand, das sie eben in das Regal über dem Kamin schieben wollte.
»Ist ja durchaus möglich, dass er keine mehr will, weil die kleine Jennifer taubstumm zur Welt gekommen ist«, meinte
Betty mitfühlend. »Das kann ich ihm nicht mal übelnehmen. Vielleicht sprechen Sie sich einfach mal aus, dann klappt es womöglich doch noch.«
»Betty«, krächzte Lauri. Sie räusperte sich, da ihr die Stimme versagte. »Ich … Wir … Drake und ich sind … kein Paar. Ich bin Jennifers Privatlehrerin. Mehr nicht.«
»Oje, was verzapf ich da wieder für einen Mist!« Betty machte große Augen. »Jesses, entschuldigen Sie, Lauri. Mir liegt leider das Herz auf der Zunge, deshalb lass ich auch kein Fettnäpfchen aus. Ich dachte, Sie wären seine … na ja, Sie wissen schon. Schließlich macht das heutzutage jeder . Ich wollte Ihnen nichts Böses, ganz bestimmt nicht.«
Betty wirkte so bestürzt, dass sie Lauri regelrecht leidtat. »Ist schon in Ordnung, Betty. Schätze, die meisten Leute würden es komisch finden, dass Drake uns hier in dieses Haus verfrachtet.«
»Fände ich persönlich weit weniger komisch, wenn Sie mehr wie Mary Poppins aussähen und weniger wie ein Supermodel.«
Lauri lachte melodisch auf, da sie sich automatisch ihrer ersten Begegnung mit Drake entsann. Bei der Vorstellung krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, und ihr Lachen endete abrupt. Würde sie je über ihn hinwegkommen? Sie vermisste ihn. Es kam ihr schon jetzt wie eine Ewigkeit vor, obwohl sie sich erst am Vortag am Flughafen voneinander verabschiedet hatten. Sie war regelrecht erleichtert, als Betty mal wieder das Thema wechselte.
Sie lebten sich rasch ein. Morgens gab Lauri der Kleinen mehrere Stunden Unterricht in dem Klassenzimmer neben
dem eleganten Studio. Es überraschte sie immer wieder, dass das Kind tatsächlich so aufgeweckt war, wie sie im Internat schon vermutet hatte. Mit jedem Tag erweiterte Jennifer ihre Fähigkeit zur Kommunikation mit der Außenwelt, da sie fleißig mit ihrer Lehrerin übte. Im Übrigen war Lauri ihr der liebste Mensch – einmal abgesehen von Drake.
Jennifer erkundigte sich jeden Tag nach ihm und verpasste keine Folge seiner TV-Serie.
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