Wie Fackeln im Sturm
oberen Stockwerk zu lassen. Eada und die Amme kümmerten sich weiterhin um Dich. Ich besuchte Dich jeden Tag. Als Du alt genug warst, feste Nahrung zu Dir zu nehmen, und Dich in der Kammer eingeengt fühltest, habe ich Dich auch nach unten gelassen. Gleichwohl wies ich die Dienerschaft an, außerhalb der Burg kein Wort über Dich zu verlieren. Die Jahre gingen ins Land, und allmählich hätte ich Dir die ganzen Einschränkungen erklären müssen, aber ich tat es nicht. Ich nahm einfach an, dass Du, ohne zu fragen, gehorchen würdest. Nie ist es mir in den Sinn gekommen, dass Du eines Tages wie alle anderen Kinder draußen spielen wolltest. Luvena war Deine Freundin, und ich glaubte, das genüge. Als lange Zeit nichts Beunruhigendes geschah, ließ meine Wachsamkeit nach, und so kam es, dass Du Dich heimlich mit Luvena aus der Burg gestohlen hast. Was Luvena widerfahren ist, war nicht Dein Fehler. Ihr wart Kinder und habt gespielt. Woher solltest Du auch wissen, in welche Gefahr Du Dich begabst, als Du außerhalb der Burg in der Sonne spieltest? Fürwahr, es war nicht Dein Fehler, sondern allein meiner.
Wir schrieben Mai 1199, und Du warst beinahe neun Jahre alt. Richard Löwenherz war im April gestorben, und John sollte gekrönt werden. Als Earl of Hillcrest war ich zu den Krönungsfeierlichkeiten geladen und gelobte dem neuen Herrscher Lehenstreue. Zu dieser Zeit wusste ich noch nichts davon, aber Du hattest bereits mehrere heimliche Ausflüge mit Luvena unternommen. Ihr beide hattet das Dorf wohlweislich gemieden, da Ihr offenbar Angst hattet, jemand würde mir von Euren verbotenen Ausflügen berichten. Aber ein- oder zweimal seid Ihr gesehen worden, und es sprach sich schnell herum, dass es ein Kind auf der Burg gab; ein junges Mädchen in reicher Kleidung, das mit der Tochter der Köchin durch die Wälder streifte. Die Krönung ging vonstatten, ich gelobte Lehenstreue, erledigte noch eine Angelegenheit und kehrte nach Claymorgan zurück. Lord Wynekyn begleitete mich. Als wir auf Claymorgan eintrafen, wurden Du und Luvena vermisst. Die ganze Burg war in hellem Aufruhr, und ich war außer mir, dass niemand Euer Fortgehen bemerkt hatte. Ich stampfte vor Zorn mit dem Fuß auf, schrie Befehle und ließ meine Wut an den Bediensteten aus, von denen ich jeden Einzelnen befragte. Als mir wieder zu Ohren kam, dass ein Fremder in der Gegend gesehen worden war, der Garrod ähnelte, gefror mir das Blut in den Adern. Er war mit Tristan am Königshof gewesen, als ich dort eintraf, aber in der Zeit unmittelbar nach der Krönung hatte ich ihn aus den Augen verloren. Dann fand man Dich. Meine Erleichterung war grenzenlos … bis ich sah, dass Luvena bleich in Baldulfs Armen lag – sie trug Dein Gewand. Sie war tot. Ich weiß, dass Du zunächst gedacht hast, sie sei lediglich gestürzt, aber die Verfärbungen an ihrem Hals ließen andere Rückschlüsse zu. Es war kein Unfall. Die Druckstellen an Hals und Armen stammten ohne Zweifel von Fingern. Ich war erschüttert und am Boden zerstört und – Gott möge mir vergeben – so dankbar, dass ich nicht Dich verloren hatte. Ich weiß, dass Du ganz durcheinander und verletzt warst, als ich Dich mit Eada fortschickte. Aber es war das Beste, was ich tun konnte. Ich ließ überall verkünden, du wärest gestorben, ließ Dich unter Bewachung zur Waldhütte bringen und weigerte mich, Dich zu besuchen. Dich nicht sehen zu können war das Schlimmste, was ich mir je selbst auferlegt habe. Aber ich fürchtete, den Mörder erneut auf Deine Spur zu bringen. Deines lieblichen Antlitzes nicht ansichtig werden zu dürfen war meine Strafe dafür, dass ich unachtsam gewesen war und Luvena ihr Leben hatte lassen müssen.
Wenn Du diese Zeilen liest, Willa, vermag ich mein Versprechen nicht mehr länger zu halten, das ich Deiner Mutter einst gab. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Dich in die Obhut eines Mannes zu geben, den ich für geeignet halte, für Dich zu sorgen. Daher führte ich die Vermählung zwischen Dir und Hugh herbei. Er ist ein kluger und starker Mann und ein herausragender Kämpfer. Du wirst ihn brauchen, Willa. Sobald Du heiratest, wird bekannt werden, dass Du lebst. Die Vermählung wird dem König mitgeteilt werden. Du wirst Hugh begleiten müssen, wenn er John die Lehenstreue als neuer Earl of Hillcrest gelobt. Die Nachricht, dass Du lebst, wird sich wie ein Lauffeuer am Hof verbreiten. Tristan wird erfahren, dass Du lebst, und Dein Leben wird erneut bedroht sein … durch Deinen
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