Wie Fackeln im Sturm
‚Gütiger Gott, wir sind verloren! Dann fiel sie ohnmächtig von ihrem Pferd. Unverzüglich ließ ich sie in den Burgfried in Thomas’ Gemach bringen. Ich glaubte, sie habe lediglich einen Ohnmachtsanfall erlitten und würde bald wieder zu sich kommen, aber sie erwachte bereits Augenblicke später, hielt sich den Bauch und begann zu schreien. Sie lag in den Wehen, und Gott weiß, wie lange sie schon Wehen gehabt haben mochte. In diesem Zustand hätte sie niemals reiten dürfen, und ich kannte keine Frau, die solche Anstrengungen auf sich genommen hätte. Ich ließ Eada rufen, und als Juliana wieder zu Atem gekommen war, fragte ich sie, was geschehen sei. Sie erzählte mir alles mit keuchendem Atem. Thomas' Abwesenheit hatte tatsächlich Tristans Eifersucht gelindert … bis es offenkundig wurde, dass Deine Mutter ein Kind erwartete, Willa. Zunächst war Tristan über die Nachricht hocherfreut gewesen, doch dann, ganz plötzlich, waren seine Gefühle umgeschlagen. Er wurde verdrießlich und zornig, bedachte Juliana mit missbilligenden Blicken und starrte mit einer unerklärlichen Abscheu auf ihren Bauch. Juliana vermutete Garrod hinter diesem Stimmungsumschwung, wusste sich indes nicht zu helfen. So musste sie mit ansehen, dass ihr Gemahl von Tag zu Tag mehr Bier trank, und ihre Ängste nahmen zu. Dann bestürmte ihre Zofe sie in heller Aufregung. Wie sie befürchtet hatte, war Garrod für die Verwicklungen verantwortlich. Er hatte Tristan gegenüber nämlich erwähnt, Juliana habe offenbar genau zu dem Zeitpunkt ein Kind empfangen, als Thomas zu Besuch gewesen sei, und redete ihm nun ein, dass es womöglich gar nicht sein Kind wäre. Die Zofe sagte, dass Garrod ihn betrunken gemacht habe, bevor er die Lügen in die Welt gesetzt hatte, um Tristan auf diese Weise gegen seine Gemahlin aufzubringen. Juliana war von Zorn erfüllt gewesen, dass Tristan sie des Ehebruchs verdächtigte … bis ihre Zofe unsicher fragte: ‚Aber es sind doch nur Lügen, oder etwa nicht, Mylady?’
Erst da begriff Juliana mit Schrecken, wie ihre unschuldige Freundschaft mit Thomas auf andere gewirkt haben musste. Sie zog in Betracht, ihren Gemahl zur Rede zu stellen. Doch dann teilte die Zofe ihr mit, dass Tristan wieder vom Bier berauscht sei und Garrod ihm böse Dinge zuflüstere. Inzwischen ermuntere er Tristan, dafür zu sorgen, dass seine Gemahlin den Bastard nicht zur Welt brachte. Ob er, Tristan, wünsche, dass das Kind eines anderen Mannes das Erbe antrete? Garrod habe verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie Tristan sich eines Kindes von ungeklärter Abstammung entledigen könne. Tristan, so redete Garrod weiter auf seinen Onkel ein, könne jederzeit ein anderes Kind mit Juliana zeugen. Deine Mutter erschauerte bei dieser Nachricht, als sie ihren Gemahl vor Zorn laut aufschreien hörte. Als sie merkte, dass er polternd die Stufen zu ihrem Gemach heraufkam, wurde sie von großem Entsetzen gepackt und floh aus dem Raum. Sie versteckte sich in der Kammer nebenan, bis Tristan die Tür passiert hatte. Dann schlüpfte sie aus der Kammer und lief die Treppe hinunter. Garrod hatte die Große Halle noch nicht verlassen und rief ihr laut nach, als sie die Stufen hinuntereilte und ins Freie rannte, doch er folgte ihr nicht. Vermutlich hatte er sich gleich auf die Suche nach dem Burgherrn gemacht. In der Zwischenzeit eilte Juliana zu den Stallungen, holte ihre Stute, ließ aus Zeitgründen den Sattel fort und ritt aus dem Burgtor. So kam es, dass sie geradewegs nach Claymorgan kam in der Hoffnung, Thomas möge ihr Kind beschützen.
Kaum hatte Deine Mutter unter Schmerzen von all den Vorgängen berichtet, da wurdest Du geboren, Willa. Eada legte Dich in den Arm Deiner Mutter und versuchte, die Blutung zu stillen, aber sie hatte keinen Erfolg. Juliana wurde rasch sehr schwach, und als sie Dich nicht länger halten konnte, nahm ich ihr den Säugling ab. Das war mein Ruin und gleichzeitig ein Segen für mich. Obgleich Du verschrumpelt und rot angelaufen in meinen Armen lagst, warst Du ein schönes Kind. Als Deine Mutter Dich in meine Obhut gab und mich bat, für Deine Sicherheit zu sorgen und Dich vor Tristan zu verstecken, konnte ich ihr diese Bitte nicht abschlagen. Du gabst meinem Leben einen neuen Sinn.“
Willa hielt im Lesen inne und sah, dass Jollivet ihr noch im selben Moment den Becher mit Met reichte. Sie lehnte jedoch ab, schniefte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sogleich trat Lord Wynekyn vor, holte ein Taschentuch
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