Wie Fackeln im Sturm
eigenen Vater: Tristan D’Orland.
Ich denke, dass er immer noch davon ausgeht, dass du Thomas’ Kind bist. Er wüsste es besser, hätte er Dich je zu Gesicht bekommen. Auch ihm würde nicht entgehen, dass Du viel von ihm hast. Während Du in allen Belangen Deiner Mutter Juliana ähnelst, hast Du die Augen und die Haarfarbe von Tristan. Thomas war dunkelhaarig wie Deine Mutter. Aber ich fürchte, Dein Vater wird sich gar nicht erst mit Ähnlichkeiten abgeben, sondern Dir wieder seinen Neffen auf den Hals hetzen. Ich bete zu Gott, dass er versagt und dass Hugh in der Lage sein wird, Dich zu beschützen. Dein Dich liebender Papa Richard.“
Willa ließ die Schriftrolle in ihren Schoß sinken und starrte stumm auf die Zeilen. Sie war noch nicht in der Lage, denjenigen in die Augen zu blicken, die schweigend im Gemach standen. Lange schwiegen alle, bis Lord Wynekyn sich räusperte und leise sagte: „Nun … das erklärt manches.“
„Ja“, hörte sie Lucan zustimmen und erschrak, als etwas Schweres auf ihrer Schulter landete. Sie wandte den Kopf und betrachtete die große Hand, bevor sie in das Gesicht ihres Gemahls blickte. Er schaute sie mit stillem Mitgefühl an. Rasch wandte sie den Blick ab, da sie Angst hatte, in Tränen auszubrechen.
„So“, ließ Jollivet sich mit einem übertriebenen Seufzer vernehmen. „Es sind demnach Euer Vetter und Euer Vater, die Euch all diese Schwierigkeiten bereiten.“
Willa setzte ein dünnes Lächeln auf und zuckte die Schultern. „Falls mein Vater überhaupt von Garrods Taten weiß.“
„Du liebe Güte“, erwiderte Jollivet, und seine Miene wurde mitleidsvoll. „Willa, Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass dieser Mann von all dem nichts ahnt?“
Willa zuckte wieder nur die Achseln, und als sie erneut auf das Pergament sah, merkte sie, dass sie die Rolle unbewusst mit den Händen knickte. Sie ließ augenblicklich davon ab. „Womöglich weiß er es wirklich nicht. Es wäre denkbar.“
Sie konnte die mitleidsvollen Blicke aller Anwesenden förmlich spüren. Sie alle hielten sie für eine Närrin. Und vielleicht war sie das auch. Vielleicht war es bloß ein frommer Wunsch, einen Vater zu haben, der sie liebte. Unvermutet stand Willa auf und lief zur Tür.
„Wo gehst du hin?“ rief Hugh.
„Ich möchte mich ein wenig hinlegen“, antwortete sie, und sehr zu ihrer Erleichterung erhob Hugh keinen Einspruch. Doch sie begab sich nicht in ihr Gemach. Zumindest nicht geradewegs. Zunächst musste sie mit Alsneta reden.
Tatsächlich fand sie die Köchin in den Küchenräumen; sie war mit der Essenszubereitung beschäftigt und hielt die Bediensteten lautstark zur Arbeit an. Einen Moment lang beobachtete Willa die ältere Frau von der Tür aus, bevor sie den Raum betrat und auf Alsneta zuging.
„Alsneta?“ sagte sie.
Die Frau drehte sich überrascht zu ihr um und lächelte. „Hallo, Liebes. Bist du wegen einer Süßspeise gekommen?“
„Nein.“ Willa zögerte, holte dann tief Luft und entgegnete: „Ich möchte wissen, warum du meinen Tod wünschst.“
17. KAPITEL
Hugh starrte mit sorgenvoller Miene auf die Tür, durch die seine Gemahlin soeben verschwunden war. Offenbar war Willa nicht bereit anzunehmen, dass ihr eigener Vater ihr nach dem Leben trachtete. Hugh ahnte, wie sehr die Zeilen sie verletzt hatten, und er wünschte, er hätte eine Möglichkeit gefunden, ihr den Brief vorzuenthalten. Dann hätte er ihr diesen Schmerz ersparen können.
„Hugh?“ meldete sich Lord Wynekyn vorsichtig zu Wort.
„Ja?“ Verwundert zog er die Brauen hoch, als Lord Wynekyn einige Male von ihm zu Baldulf blickte und mit einem Nicken auf das Bett deutete.
Als Hugh ihn nur verdutzt anschaute, schnalzte der Freund seines Onkels ungeduldig mit der Zunge. „Wolltet Ihr Baldulf nicht etwas fragen?“ meinte er bedeutungsvoll.
Hugh war verwirrt. „Wollte ich das?“
„Wegen der Hütte, und wem er erzählt haben könnte …“, erwiderte Lord Wynekyn in gedämpftem Ton.
„Oh!“ Hugh trat ans Bett und musterte den Verletzten mit strenger Miene. „Habt Ihr irgendjemandem verraten, dass Willa und ich zu der Waldhütte aufbrechen wollten?“
„Nein!“ Schon die Frage schien Baldulf zu erstaunen; dann runzelte er die Stirn. „Nun, nicht wirklich, ich meine, ich tat es, aber …“ Er sah Hugh fest in die Augen. „Ihr glaubt doch nicht … ist Euch jemand zur Waldhütte gefolgt?“
„Nein“, versicherte Hugh ihm. „Die Wölfe hätten gewiss geknurrt oder sich
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