Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
geputzt, saßen plaudernde Menschengrüppchen beisammen und lagen erschöpfte Gestalten im Schatten. Die Glücklichen, sie hatten ihr Bett, wir mussten noch durch die ganze Stadt laufen, auf der Sirga Peregrinal, der schmalen Gasse zwischen hohen Bürgerhäusern und Adelspalästen, wie alle Pilger seit Jahrhunderten. Meine Kraft reichte nicht mehr, um mich für die Besonderheiten am Weg zu interessieren, nicht einmal mehr für die Santiagokirche, obschon ich mich nach einer Messe sehnte. Nur unser Ziel war noch wichtig, die Herberge, und auf dem Weg dorthin die ,Brücke der Königin’. Als wir am Ende der Pilgergasse durch ein Tor auf dieses herrliche Bauwerk traten, erfüllte sich für mich ein Traum. Jetzt war ich also tatsächlich selbst hier, hatte die Pyrenäen überquert, den navarrischen Weg zurückgelegt und den Hauptweg erreicht.
Bevor wir hier hinaufgingen, saßen wir glücklich auf der Brückenmauer, schauten auf den Fluss, die Stadt und unseren bisherigen Weg zurück.
Wenn der Camino eine Abbildung meines Lebens ist, wie manche sagen, hatte ich jetzt das Kleinkindalter hinter mir. Ich hatte in diesen ersten Tagen nicht nur Gehen und Staunen gelernt, sondern auch Vertrauen in meinen Körper und das Spüren meiner Kraft und meiner Grenzen. Jetzt waren sie erreicht, und als wir nach dem letzten, kurzen Aufstieg endlich ankamen, konnte mich nicht einmal mehr erschüttern, dass es nur kaltes Duschwasser gab!
Zwischen Spaniern
Puente la Reina — Villatuerta > 18 km
Der Tag wird schlecht.
Wenn du verschläfst und um halb acht geweckt werden musst, viel zu spät für das angebotene Frühstück, dich so kaputt fühlst, dass du einfach nur liegen bleiben möchtest und dir beim Packen schlecht vor Schwäche wird, hör auf zu denken.
Und wenn du notgedrungen eine halbe Stunde später deinen Rucksack schulterst, auf die Straße gehst und gequält Schritt vor Schritt setzt, bist du wirklich allein — auch wenn vor und hinter dir eine unübersehbare Menge von Pilgern den gleichen Weg gehen.
Es geht nicht nach meinem Willen, ich bin auch heute noch nicht gesund. Mein Körper will Ruhe, aber die kann ich ihm nicht geben, nur mehr Aufmerksamkeit und Schonung. Wir werden heute noch langsamer gehen, noch häufiger ausruhen. Wenn Maja so tapfer jeden Tag ihre Schuhe wieder über ihre verpflasterten Füße zieht und die Rückenschmerzen unter ihrem schweren Rucksack aushält, werde ich auch nicht aufgeben.
Ich schaue zurück nach Puente la Reina, auf die sandfarbenen Fronten der Häuser am Fluss und die Türme über ihren Tondächern, und bedauere, dass ich nicht mehr von der Stadt sehen konnte. Aber es ist, wie es ist, und wir wollen weiter.
Aus der Stadt hinaus, durch Gärten und ein Labyrinth von Baustellen. Überall wird gebaut, werden neue Pilgerwege und Straßen für immer größer werdende Pilgerströme angelegt, weil Spanien begonnen hat, den Jakobsweg touristisch zu vermarkten. Und dann gibt es auch noch die Heiligen Jahre, in denen die Zahl der Wallfahrer ansteigt, weil Pilgern am Grab des Heiligen Jakobus angeblich alle Sünden vergeben werden. Wenn sein Todestag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, sind ganze Völkerscharen unterwegs.
Baustellen bedeuten unbegehbare Wege, aber wir Pilger sind zäh. Der provisorische Pfad, an einer Abbruchkante der Hügel, ist teilweise abgerutscht und zwingt uns zu abenteuerlichen Klettereien, doch irgendwie schafft es jeder auf diese erneute Anhöhe. Sogar Mountainbiker quälen sich schnaufend hinauf und zermalmen den letzten Rest fester Piste. Ja, es geht wieder mal hoch, zum Glück nicht lange und wir werden prompt entschädigt; nach dem Berg folgt ein wunderschönes Tal mit rötlich leuchtenden Felswänden, zu denen sich Grasmatten mit Baumgrüppchen und blühender Heide emporziehen. Schafe weiden an Bächen, Olivenbäume und Weinfelder wechseln sich auf ziegelroter Erde ab, wir sind in einer völlig anderen, idyllischen Landschaft. Sanft und einladend, und so wohltuend ruhig, dass ich mich gleich besser fühle. Der Tag könnte vielleicht doch noch schön werden — aber nur, wenn ich bald etwas zu essen bekomme. Ungeduldig hoffe ich, im nächsten Dorf etwas einkaufen zu können, doch Mañeru wirkt verlassen und wenig geschäftig. Aber ich muss einen Laden finden, laufe kreuz und quer durch alle Gassen, und kurz bevor meine Laune wieder schlecht wird, entdecke ich neben der abweisend wirkenden Kirche am winzigen Kirchplatz eine noch winzigere Tienda. Einen
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