Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Hospitalera klingt gut. „Wir wollen es uns überlegen.“ Pech, nach unserer Siesta kommen wir zu spät. Die Herberge ist voll und die begrenzten Abendbrotplätze sind an Mitpilger vergeben. Na, dann essen wir irgendwo außerhalb, wir sind noch gut zu Fuß. Aber wo?
Als der Regen nachlässt, machen wir uns auf die Suche, streichen hungrig durch den Ort, hinauf zur Oberstadt mit der alten Kirche, durch alle Straßen zum Fluss und fragen die wenigen Einheimischen vergeblich nach einem Restaurant. Einmal schöpfen wir Hoffnung, als es aus einer Gasse sehr kräftig lecker duftet. Aber wo ist ein Lokal? Es riecht aus einem Torweg.
Neugierig trete ich näher und linse durch eine angelehnte Tür in einen garagenähnlichen Raum, in dem laut schwatzende Frauen zwischen großen Körben roter Paprika um einen Arbeitstisch laufen. Was machen die? Da entdecken sie mich, holen mich heran und zeigen mir ihre Arbeit: Sie brennen Paprikaschoten über offenen Gasflammen ab, häuten und schneiden sie, und füllen diese ,Pimiento’ in Gläser. Sie lassen mich probieren, wir lachen miteinander und ich fühle mich wohl bei ihnen. Dass wir nicht die gleiche Sprache sprechen, spielt keine Rolle, wir verstehen uns trotzdem, und ich bin froh, dass ich hineingegangen bin, obwohl ich doch sonst häufig fürchte zu stören.
Wir finden kein Restaurant und keine Bar. Nur eine Pastelería, in der junge Mädchen uns Tiefkühlpizza aufbacken (...der gute Pilger ist zufrieden mit dem was ihm gegeben wird). Doch so mäßig das Essen, so gut ist unsere Unterhaltung. Wir sind im Treffpunkt des Dorfes. Jung und Alt lärmen, trinken Café, schaufeln Kuchen und Süßigkeiten in sich hinein, rennen rein und raus, schreien Neuigkeiten durch den Raum, begrüßen einander laut, knabbern Sonnenblumenkerne, rufen ihre Kinder zur Ordnung, wenn die zu übermütig werden, und kümmern sich überhaupt nicht um uns, lassen sich nicht stören, leben einfach. Toll. Wir sitzen, bis geschlossen wird, beobachten und schwatzen, haben es dann nicht weit zu unseren Betten und freuen uns auf die Nachtruhe.
Ja, meine Liebe, zwar hab ich an dem Abend nicht das historische Estella gesehen, dafür aber das lebendige Villatuerta und war das erste Mal zwischen Einheimischen — ohne mich fehl am Platz oder als Eindringling zu fühlen. Ich begann mich zu verändern! Gutes Gefühl.
Ich will!
Villatuerta — Estella — Los Arcos > 27 km
„Komm Maja, ich habe die Hospitalera gefragt, ob wir mit frühstücken können, und sie hat uns zwei Tassen dazugestellt.“ Ich bin wieder initiativ, denn ich möchte nicht gehen, ohne wenigstens etwas Warmes getrunken zu haben. Wir setzen uns zwischen zehn fremde Menschen an einen großen Tisch, zu Milchkaffee, Pappbrot, Margarine und Marmelade, und ich wundere mich über mich, dass ich das ertrage. Das Essen und die vielen Leute. Weil ich doch morgens niemanden sehen mag. Aber hier ist alles anders. Hier hab ich sogar Geduld auf Maja zu warten, und dass es aus grauem Himmel regnet, regt mich auch nicht mehr auf; es kommt eh alles, wie es soll.
Unsere Jacken und Schuhe sind getrocknet, also los zum Morgenspaziergang nach Estella. 5 Kilometer können wir in einer Stunde schaffen.
Villatuerta ist schnell verlassen, dann folgen flache Landwege zwischen Gärten und vereinzelt stehenden Häusern. Nur hier und da werkelt ein alter Mann in der Morgenkühle in seinem Gemüsegarten, während immer lauter werdender Verkehrslärm die Nähe der Stadt ankündigt.
- Ach Estella, was habe ich alles von dir erwartet. Du solltest mich mit deinen romanischen Monumenten ins Mittelalter zurückversetzen, und dann habe ich von dir doch eigentlich nichts gesehen und der Funke ist nicht übergesprungen. Hatte das gotische Portal der Kirchenruine Iglesia del Santo Sepulcro noch meine Augen begeistert und mein Herz erfreut, und war die Pilgerstraße fast noch schöner als in Puente la Reina — das wirklich Bewegende war für mich im Vorbeigehen nicht zu erfassen. Von den Palästen, Kirchen und Museen sah ich nur die Fassaden, die Türen waren verschlossen...
Und jetzt sind wir schon wieder außerhalb der Altstadt in einem Industrievorort, und Maja sucht nach einem Laden, weil sie Stulpen braucht, damit nicht mehr so viele Steinchen in ihre Schuhe springen, und ich bin sauer.
Warum kann Maja tun, was sie will und ich nicht? Warum stehe ich vor diesem schrecklichen Supermarkt und warte auf sie, statt mir den Ort anzusehen? Das ärgert mich. Ich ärgere mich
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