Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
km
Es wäre so schön gewesen auszuschlafen, aber offensichtlich wollen alle außer mir nach Burgos. Warum würden sie sonst so früh rascheln und mich wecken? Stehe ich eben auch auf und rufe mal wieder zu Haus an, um guten Morgen zu sagen. Das Telefon hängt draußen vorm Kloster unterm Sternenhimmel, aber ich erreiche niemand und mache stattdessen Morgengymnastik, bis drei Wanderer mir winken ihnen zu folgen: „Komm mit, Café trinken.“ Die Schwester des Priesters serviert allen Wanderern in ihrer großen Küche Milchcafé, und da ich nichts zu essen habe ist ein warmer Café herrlich.
Zwei sind noch besser. Als ich eine halbe Stunde später mit meinem Gepäck die Herberge verlasse, treffe ich Brad und Savannah und gehe mit ihnen noch einmal in die Küche. Ganz unauffällig, damit es der freigebigen Alten nicht auffällt, dass ich gerade eben schon mal da war.
In der Morgendämmerung verlasse ich diesen gastlichen Platz, begleitet von der Stille und den Geräuschen des Morgens, und bevor ich in das Dunkel eines Kiefern- und Steineichenwaldes trete, muss ich stehen bleiben und zurückschauen. In diesem Moment geht über der Kirche die Sonne auf, und dieser fast unwirklich schöne Anblick macht mich stumm vor Glück. Wer bin ich, dass es mir so gut gehen darf?
Und nun auch noch dieser duftende Wald und dahinter die Hochebene — die Welt scheint perfekt zu sein. Bis mir Katharina entgegenkommt. „Gut dass ich dich treffe, bist du mutig? Da vorn sind ganz viele Kühe auf dem Weg und ich trau mich nicht allein durch.“ Na klar bin ich mutig — bis ich die große Herde vor einem Gatter auf unserem Weg liegen sehe. Eigentlich sehen sie ganz freundlich aus, glotzen nett und sind hübsch in allen Schokoladentönen, aber sie sind groß und es sind ganz viele, dicht an dicht. Zaghaft tasten wir uns zwischen ihnen durch, stellen un s unsichtbar und sprechen zu ihnen, um uns zu beruhigen, bis wir es schaffen unbeschadet durch die Pforte zu schlüpfen. Wieder ein Abenteuer bestanden. Wir trennen uns gleich wieder, weil wir beide es schön finden allein zu sein, und ich frage mich, warum ich nicht überhaupt allein weitergehen sollte.
Natürlich ist es auch schön zu zweit, ich hab durch Maja als mein Gegenüber schon viel über mich gelernt. Das war bisher gut, aber nun spüre ich, dass ich lieber allein sein möchte und versuche zu ergründen, was richtig für mich ist. Vielleicht gibt es das Richtige gar nicht, dann war das Lernen bisher wichtig, doch nun wäre es besser frei zu sein. Aber ich fühle mich Maja verpflichtet, bin unsicher, wie viel Rücksicht ich nehmen muss, und kann mir überhaupt nicht vorstellen, mit ihr über dieses Thema zu sprechen.
„Wenn es einem von zweien schlecht geht, sorg’ dafür, dass nicht du es bist“, hat Peter mich gelehrt.
Trotzdem hält mich irgendetwas von einer klaren Entscheidung ab. Vielleicht hoffe ich auf ein Gottesurteil oder, dass Maja von sich aus sagt, dass sie allein gehen möchte. Ach, das werde ich jetzt nicht lösen, ich will lieber die herrliche Luft, die schöne Morgenstimmung und den Weg genießen. Und mich über den Wegweiser in Agés freuen: <519 km a Santiago > — Nur noch so wenig?
Da liegt schon Atapuerca, und Katharina, Brad und Savannah sind auch noch nicht weiter und rufen mir zu, ob ich mit ihnen frühstücken möchte.
Der Ort ist klein und übersichtlich, und im Nu finden wir ein nettes Gartenrestaurant, das auch Zimmer vermietet. Die Wirtin führt mich herum und bietet mir an, hier zu bleiben. Nein, dann muss ich den ganzen Tag angespannt lauern, dass Maja mich findet, und überdies kostet es hier 15 Euro statt fünf und das Frühstück ist dürftig. Nein, Danke, ich gehe zur Herberge, während meine Frühstücksgenossen nach Burgos weiterziehen. Neidisch schaue ich hinterher, würde liebend gern hinterherlaufen, mich noch länger frei fühlen, doch ich hab mich selbst verplant und muss das jetzt durchziehen. Sicher wird es trotzdem ein schöner Tag, denn Atapuerca ist berühmt für die Fundstätten der ältesten menschlichen Überreste in Europa. 800.000 Jahre alt sollen die Relikte des Homus antecessor, einem Vor-Neandertaler, in den Hügeln und Höhlen der Umgebung sein. Und anders als auf meiner Reise in Kenia, wo man den gleichen Menschentyp fand, soll es hier Führungen zu den Ausgrabungsstätten geben.
Das Organisationsbüro an der Dorfstraße ist geschlossen und den spanischen Aushang kann mir keiner übersetzen, denn auch hier
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