Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
bitte nicht schon wieder Regen! Sein gleichmäßiges Prasseln auf dem Dachfenster über mir bereitet mir Angst und Unbehagen. Ich habe immer noch keinen Regenumhang, was wird mir das läppische Imprägnierspray nützen, warum hat sich gestern alles nur darum gedreht? Überhaupt habe ich nicht mal irgendwas zu essen, und wo sind die Kompressen, die ich kaufen wollte? Heute ist der Weg zwanzig Kilometer weit, schrecklich. Ich möchte nicht wieder nass werden und frieren, aber hier liegen bleiben kann ich auch nicht.
Werden sich die Dinge zum Guten fugen, wie jedes Mal, wenn ich vertraut habe? Bloß, wie geht das mit dem Vertrauen, heute Morgen?
Viel einfacher, als ich fürchtete: Die Menschen um mich sind freundlich, ich kann mich an einen gedeckten Frühstückstisch setzen, und mit schon viel besserer Stimmung entdecke ich, dass der Hospitalero Regenumhänge verkauft. Und dann schenkt mir Mona Gummibänder, mit denen ich Plastiktüten über meinen Schuhen befestige, bin nun wetterfest ausgerüstet und fühle mich vor allem gewappnet. Hans lässt es sich nicht nehmen, mich in diesem charmanten Peregrinaoutfit zu fotografieren, weil ich in diesem starren grünen Plastik mit der Kapuze bis auf die Nasenspitze außergewöhnlich allerschrägst aussehe. Um fürs Foto zu lächeln, brauche ich mich nicht anzustrengen, ich bin wirklich ein Glückspilz. Jetzt habe ich alles, was ich brauche, sogar zwei freundliche Menschen, die mir über die Berge helfen wollen. Wovor sollte ich noch Angst haben?
Gut gelaunt wandern wir aus Astorga in die Landschaft Maragatería, zu der die Montes de León hier auslaufen, in eine unwirtliche, steinige und karge Gegend. Jahrhundertelang mussten die hier lebenden Maragatos ihr Brot als Fuhrleute verdienen; weil das Land sie nicht ernähren konnte, blieben die Dörfer rückständig und arm, bewahrten dadurch ihre Traditionen in Architektur und Kultur und profitieren jetzt davon: Touristen und Filmindustrie haben die malerischsten Orte entdeckt. „Schau, dort an der nördlichen Bergflanke liegt Castrillo de los Polvazares, das bekannteste von ihnen, ich hab es mir im Frühling angeschaut.“ Leicht gesagt, liebe Mona, bei diesem Dunst sehe ich nichts. Nichts als leere Felder und Regenschleier.
Mehr als einen Monat bin ich unterwegs und kein Tag ist wie der andere. Es ist erstaunlich, wie groß der Kontrast zwischen den dynamischen Städten und den entvölkerten, ländlichen Regionen ist, und wie verschieden meine Gefühle dazu sind.
Der Regen ist zu Dauernieseln geworden, wir laufen wie in einer nassen Wolke, in der dann und wann ein ödes Dorf aus grauen Bruchsteinhäusern auftaucht. Von dunklen Schieferdächern tropft das Regenwasser in die wattige Stille, nur unsere Regencapes rascheln und knistern. Meine nassen Beine gehen automatisch, mit leerem, gebeugten Kopf trotte ich hinter Hans und Mona her. Aber wo sind sie plötzlich geblieben? Schnell zurück, sie sind abgebogen, nach links zu einer Bar. Ich quetsche mich hinter ihnen in den rammelvollen kleinen Raum in einem geduckten Haus, zwischen Rucksäcke und ausgebreitete Klamotten anderer Wanderer an langen Tischen. Wir reihen uns irgendwo ein, legen irgendwo unsere Sachen ab, bleiben ein Weilchen, wärmen uns und trinken Cola, weil die Kaffeemaschine kaputt ist. Egal, ich kann sitzen, eine Zigarette rauchen und ein wenig ausruhen, bevor wir zurück auf den Weg gehen.
Wir sind auf tausend Meter Höhe und die Natur wird karger. Zwischen Hügeln wachsen Kiefern und Ginster, die Wolken hängen tief, und nur die Landstraße neben uns, auf der gelegentlich ein Lieferwagen vorbeifährt, erinnert an den Rest der Welt. Fast unmerklich wird es freundlicher, der Regen weniger. Mona geht gemächlich mit mir, im richtigen Tempo für meine Beine und erzählt von ihrem ersten Camino im Frühling. „Ein Stück meiner Seele ist damals hier geblieben und ich muss noch einmal gehen, um wieder ganz zu sein“. Nach anfänglicher Skepsis mag ich sie. Ihre resolute Dominanz hatte mich zu sehr an Eigenschaften erinnert, die ich mir mühselig abgewöhnt habe. Doch heute erlebe ich ihre warmherzige Offenheit und Unbeschwertheit und bin dankbar für ihre Begleitung. So vergeht der Weg nach El Ganso, das mit eingefallenen Strohdächern und umgestürzten Hausmauern verlassen und trostlos wirkt. Aber es gibt Menschen und eine Bar — diesmal mit warmen Getränken.
Und hier fehlt mir meine Zigarettendose, die gewohnte, geliebte, vor dreißig Jahren in einem
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