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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Kramladen entdeckte, als ich für Opa Tabak kaufte. Die mich überall hin begleitet. Sie ist verschwunden, wahrscheinlich im Chaos der kleinen Bar liegen geblieben. „Geh zurück und hol sie, oder versuch mit einem Auto mitzufahren.“ Nein, ich kann keine zusätzlichen zehn Kilometer gehen. Und die wenigen Autos — ich glaube nicht, dass ich eins finde. „Weißt du, dann soll es wohl sein, dass etwas von dir hier bleibt. Lass einfach los.“ Ja, ich lasse los, entscheide mich, den Verlust zu akzeptieren, und merke, dass es zwar traurig, aber gar nicht schwer ist.
    Weiter. Gemächlich. Mona singt Lieder, ich sing den Refrain und Hans hört zu. Schön mit den beiden. Schön Quatschlieder zu singen, zwischendurch zu schweigen und gelegentlich zu schwatzen. Hans und ich sind in Deutschland fast Nachbarn, das gibt Nähe, und er erzählt rundheraus, dass er schon Herzinfarkte und eine Bypassoperation hatte. „Da nimmst du diese Anstrengung auf dich?“ Ich bewundere ihn. „Ich treibe seit Monaten regelmäßig Sport, walke, hab mich gut vorbereitet und fühl mich jetzt ausgezeichnet.“ Ganz schön mutig, Hans! Aber sind wir nicht alle mutig, dass wir hier rumlaufen? Auch ich, die ich heute schon so weit gehe? Es geht mir wahrlich noch nicht gut, doch im Zickzack entschärfe ich die steilen Anstiege, und meine liebe Begleitung und die ruhige schöne Natur lassen mich meine Beschwerden fast vergessen. Ich kann mithalten, obwohl wir erst am Nachmittag die Weggabelung vor Rabanal erreichen. „Gehen wir zum Refugio Gaucelmo? Es liegt neben der Kirche und dem Benediktinerkonvent, wird von englischen Freiwilligen geführt und hat einen guten Ruf.“ Ich überlasse Mona die Entscheidung, will mich um nichts kümmern müssen.
    Nett ist es hier, zwischen den alten Häusern und der uralten Templerkirche gegenüber dem Torweg zur Herberge, in dem — Fred und Nicole herumstehen. Damit hab ich überhaupt nicht gerechnet! Verblüfft und beglückt fallen wir uns in die Arme und reden gleichzeitig drauflos. „Great, dass du es bis hier geschafft hast! Wo ist Eric?“ Ach ja, Eric. Nicoles Frage verwirrt mich. „Ich dachte, ihr wüsstet es, er hat León vor mir verlassen. Wenn ihr ihn trefft, grüßt ihn bitte. Schlaft ihr hier?“ Die zwei haben nur telefoniert, gehen nie in Herbergen, schlafen im Zelt. „Aber die letzten Nächte waren so kalt und nass, dass wir uns hier in den Bergen Pensionen suchen werden.“ Ich bin zu erschöpft und aufgewühlt über unsere Begegnung und die dadurch auftauchenden Gefühle, um ihre Einladung zu einem Drink anzunehmen. Stelle mich nur schnell für ein Foto neben Fred, dann wünschen wir uns gegenseitig Glück für die Zukunft und gehen auseinander.
    „Leider ist das letzte Bett im Haus grad vergeben, du musst ins Nebengebäude.“ Das Lächeln des smarten Hospitalero kann nicht gut machen, was mich erwartet: ein ,Stall’ aus groben Feldsteinen, in dem es duster, feucht und kalt ist. Es nützt nicht viel, dass ich mir eine der herumliegenden Wolldecken hinter mein Bett an die Wand hänge, die scharfe Kälte aus den Mauern durchzieht den ganzen Raum. Ich mag nicht mal duschen, weil ich jetzt schon friere. Da fliehe ich ins Haupthaus, in die warme Küche, lasse mich von Mona und Hans zu Bratkartoffeln einladen, und vertreibe mir die Zeit, indem ich ungläubig beobachte, welche ungeheuren Essensmengen die jungen Männer am Tisch verschlingen.
    Es kostet mich Überwindung, in die schaurigkalte Kirche zu gehen, doch der Hospitalero hat mir den Besuch der Vesper ans Herz gelegt. Der kleine Raum ist voller Pilger, die Atmosphäre himmlisch. Zwei der hier lebenden Benediktinermönche singen lateinischen Wechselgesang; ich lese murmelnd den Text mit, fühlend, dass die Worte den Geist transportieren und meine Seele erreichen. Als danach Pilger verschiedener Nationalitäten Bibelworte verlesen, gehöre ich wieder dazu, bin Teil dieser innigen Gemeinschaft, fühle mich geborgen und reich beschenkt. Vor dem Hinausgehen zünde ich einige Kerzen für meine Lieben an, denke an zu Hause und meine Begegnungen, bin ruhig, gestärkt und dankbar.
    Wenn ich nur nicht in dieses kalte Schlafverlies müsste! So lange wie möglich bleibe ich in der Bibliothek am warmen Kamin, doch irgendwann muss ich hinüber, stopfe alle meine Kleider in meinen Schlafsack, krabble dazwischen und werde wehmütig: Zu Hause würde ich jetzt am warmen Ofen sitzen. Was mache ich hier in der Fremde, in dieser Kälte? Fliegen Zugvögel

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