Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
ist schön — aber auch nicht einfach, einen Partner zu haben, nicht wahr Wiebke? Weil wir alle immer zu viel voneinander erwarten und Träume und Bedürfnisse haben, die uns unser Gegenüber nicht erfüllen kann oder will. Müssen wir sie unterdrücken oder können wir sie von anderen Menschen erfüllen lassen? Oder sie uns selbst erfüllen? Je länger ich unterwegs war, desto mehr Fragen tauchten auf. Hoffentlich würde ich Antworten finden.
Hilfe!
Riego de Ambros — Ponferrada — Cacabelos > 29 km
— Eine Freundes- und Familiengruppe geht mit mir den Camino hin und her. In einer unklaren Situation gehen alle meine Sachen verloren. Ich brauche aber dringend einen Anzug, sonst kann ich nicht weitergehen. Ein Freund gibt mir 200 Euro, damit ich mich neu einkleiden kann. Das Geld hätte ich bei ihm gut — wegen einer Wohltat an seiner Tochter. Ich bin gerettet. —
Seltsamer Traum. Aber er war so deutlich, dass er mir nicht aus dem Kopf geht. Wenn nur nicht diese hektischen, lauten Männer hier in der Küche wären, könnte ich ihn vielleicht verstehen. Sie geben keine Ruhe. „Weißt du wie der Gasherd angeht?“ Sie nerven. „Gasherd? Ich?“ Nee, ich bin total aus der Welt, zu blöd, zu weit weg von allen praktischen Fähigkeiten. Dann gibt’s halt keinen Tee, sondern kaltes Wasser. Bis Mona kommt, mit einem Handgriff die Gasflasche öffnet und sich von mir verabschiedet. „Ich werde zusammen mit Janet mit dem Bus nach Ponferrada fahren, sie in ein Krankenhaus bringen und dann allein weitergehen. Genieß du den Weg hinunter nach Molinaseca, es ist eine der schönsten Strecken.“
Mona hat Recht, es ist wirklich wunderschön durch die Flussauen zu wandern, zu den Berggipfeln hinaufzusehen, von denen sich die letzten Nebelfetzen lösen, endlich wieder einen strahlenden Sonnenaufgang zu erleben und den Duft nach Kiefern und Lehm einzuatmen. Glücklich laufe ich die Serpentinenstraße in der Schlucht des Río Sil hinab, freue mich an seinem Rauschen und über die ulkigen Formen der Bergrücken, die mit ihren Tannenreihen wie liegende Riesendrachen mit gezackten Kämmen wirken. Alles um mich ist frisch und neu, da mag ich im steingrauen Molinaseca nicht bleiben, wandere nur durch, froh, gestern nicht hierher gegangen zu sein: Die Herberge steht in einem Garten voller Zelte, aus denen gerade die letzten Schlafmützen kriechen.
1000 Höhenmeter bin ich seit gestern Mittag in eine andere Welt herabgestiegen. Die Einsamkeit der Berge liegt hinter mir und glücklicherweise auch die Kälte. Die Luft ist mild, in Gärten stehen Obstbäume, Palmen und Feigen, und auf den Hügeln sind Scharen von Pflückern bei der Weinlese. „Kann man die Trauben essen?“ Der junge Mann mit der Kiepe hat meine Gesten verstanden, lacht und reicht mir eine Hand voll. Sie sind klein und grün und zuckersüß. Und dann hält zufällig ein Bäckerwagen neben mir, und die Bäckerin verkauft mir frisches Brot, und ich wandere fröhlich kauend durch dieses Schlaraffenland aus Weinbergen, Städtchen und Wiesen.
Zwischen den Hügeln taucht Ponferrada auf, groß und lang gezogen. Hier ist auch schon die historische ,Eiserne Brücke’ über die ich in die Altstadt komme, nun muss ich nur noch ein paar Gassen hinauflaufen, um endlich die berühmte Templerburg zu sehen. Da ragt sie vor mir auf, mächtig beeindruckend — toll. Wie aus einem Märchenbuch steht sie da, perfekt renoviert, mit Türmen, Toren und Zinnen. Es wunderte mich nicht, wenn jetzt Ritter auf ihren Pferden herauskämen und an den Gauklern vorbeiritten, die auf der Straße vor mir Dudelsack spielen! Wie nett. Hier will ich ein Weilchen sitzen und gucken und träumen.
Die Stadt ist 1500 Jahre alt und hat hübsche Ecken, doch es ist schon Mittag und meine Etappe noch lang. Nur die Zeit für ein Gebet leiste ich mir noch, möchte Gott danken, dass ich kaum noch Schmerzen habe, und in der Kühle des Kirchenraums Kraft schöpfen für die nächsten sechzehn Kilometer. Erfrischt mache ich mich auf die Suche nach einem Geldautomaten, doch als ich endlich einen finde, akzeptiert er meine Karte nicht. Macht nichts, ich habe noch 40 Euro, die reichen für mindestens zwei Tage, in denen sich sicher eine andere Gelegenheit ergeben wird.
Es wird heiß zwischen den Häusern. Gut, dass es stadtauswärts geht, auf rot- und braunfleckige Bergflanken zu, die schon seit der Römerzeit durch Erzabbau zerstört sind. Der Weg lässt sie rechts liegen, führt durch grüne Vororte, zu einer
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