Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
und gut frisiert wie alle Frauen in Spanien. Ich gehöre nicht zu ihnen, bin ein fremder Paradiesvogel in einer hellblauen, schmutzigen Wanderjacke, muss mich überwinden, mich dazuzusetzen.
Aber ihre freundlichen Blicke schmelzen meine abwehrende Kälte, und ihre Umarmungen beim Aufruf zum Frieden sind so warm und herzlich, dass ich mich fast wie unter Freundinnen fühle. Als alle zur Kommunion gehen und ich sitzen bleiben will, nehmen sie mich energisch zwischen sich und führen mich zum Altar, drücken mich zum Abschied und sagen mir mit herzlichem Ausdruck Worte, die ich leider nicht verstehe.
Ich danke ihnen in meiner Sprache. Danke dafür, dass sie mich daran erinnert haben, welchen Schatz an Liebe ich mir durch meine Distanziertheit vorenthalte. Danke ihnen, dass sie mich in ihre Mitte genommen haben, obwohl wir zu verschiedenen Welten gehören.
Wirklich? Ist unser Leben wirklich verschieden? Die Erschöpfung in ihren Gesichtern ist mir nur zu vertraut — nein, wir haben die gleichen alltäglichen Sorgen und Freuden. Und können sie miteinander tragen und teilen.
Ich sollte meine Angst ablegen und mich endlich zugehörig fühlen.
Düsternis
Cacabelos — Vega de Valcarce > 24 km
Mich fröstelt. Gott sei Dank ist der Tee aus dem Automaten wenigstens heiß, die Steinbank ist schrecklich kalt im kühlen Wind. Im Morgendunkel zittern Taschenlampen, weil der Strom wieder ausgefallen ist, wie gestern Abend, doch wir müssen packen, weil die Herberge um acht geräumt sein soll. Ich bin fertig, sitze und schaue den anderen zu, höre eine Kakophonie aus Hundegebell und Hähnekrähen und wundere mich, dass schon wieder Sonntag ist. Letzte Woche war ich in León und davor in Boadilla, und davor —?
Wenigstens brauchte ich mir da noch keine Sorgen um Geld zu machen; jetzt fühle ich mich unsicher und wieder mal verlassen, sehne mich nach Eric. Er würde jetzt wissen, was zu tun ist, könnte mir die Sicherheit geben, die mir momentan fehlt — ich bin es leid, für mich zu sorgen. Nein, geht weg Gedanken, ich möchte endlich unabhängig sein, ohne Anpassung, frei. Die Probleme nimmt mir eh keiner wirklich ab, nun sollte ich endlich losgehen und Grübeln und Emotionen beiseite lassen. Weil jeder Schritt heilt und mich ruhig macht. Weil ich mich auf der Straße wohl fühle, zwischen den Weinbergen vor dem nächsten Bergriegel, der grau und baumlos in der Dämmerung auftaucht.
Wie werde ich die gute Luft und die Stille vermissen. Später, wenn ich wieder in die Welt zurückgekehrt bin, in die Neuzeit. Ja, auch Villafranca del Bierzo ist Mittelalter und Sonntagmorgenruhe, mit einem Blick überschaubar in einem Tal liegend; graue Schieferhäuser unten, Burg, Kirche und Klöster an den Berghängen. Und vor mir am Weg die kleine Santiagokirche, in der kranke oder sterbende Pilger früher Ablass für ihre Sünden bekamen, wenn sie es nicht bis Santiago schaffen konnten. Ich schaue sie mir nicht an, bin satt von all der Fülle bisher — doch ich muss mich ansehen lassen. „Eine echte Fußpilgerin! Woher kommst du, und wie lange bist du schon unterwegs?“ Diesmal sind es Franzosen aus einem Reisebus, die mich bestaunen wie ein blaues Pferd und mir gute Wünsche nachrufen.
Bergab über Treppen und Gassen führen mich gelbe Pfeile durch die unbelebte Stadt. Letzte Kirchgänger hasten an mir vorbei, Orgelmusik klingt von irgendwo. Sonst geschieht nichts. Und eh ich mich versehe, überquere ich einen reißenden Fluss, habe die Stadt hinter mir und bin auf einer Straße im engen Tal des Río Valcarce.
Hier wollte ich nicht hin, wollte oben auf den Bergen gehen, wo es auch einen Weg gibt, doch wie soll ich dort hinkommen? Die ausgerissenen, losen Blätter meines täglich dünner werdenden Reiseführers beschreiben nur diesen historischen Camino. Also gehe ich weiter. Im feuchten Flusstal, in dem der Tau gefroren ist. Unter Autobahnen auf Stelzen in schwindelnder Höhe über mir. Hier bin ich richtig, denn der düstere Weg passt zu meiner Stimmung — mein Denken kreist darum, ob ich in Vega de Valcarce Geld bekommen werde.
Aber hier unten ist auch Leben, gibt es Dörfer zu denen Wege abschwenken, die zu Waldpassagen werden. Hier duftet es nach frisch geschlagenem Holz, plätschern Quellen, und der Boden ist über und über mit dicken, glänzenden Maronen bedeckt. Ich habe noch nie welche gegessen, bin neugierig, öffne ein paar große, blanke mit meinem unverzichtbaren Messer und bin überrascht von ihrem leckeren
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