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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Schiefertafeln in mein Tagebuch und beobachtete fischende Kormorane. Es war wie in einem Traum, nur schrecklich heiß. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, ich massierte meine Handflächen, weil dann auch die Fußsohlen weich werden, konzentrierte mich auf Atemübungen und trank Unmengen Wasser aus den vielen Brunnen und Quellen. Wann würde ich endlich da sein? Wieder ein Ort, eine Straßenunterquerung, eine Piste, eine lange, lange Mauer, dann endlich stand das Kloster vor mir, umgeben von wenigen Häusern, in ein enges Tal zwischen Felswänden eingequetscht. Ein Ehrfurcht gebietender, mächtiger, sandfarbener Barockbau zwischen Kräuter- und Blumengärten. Mit einem hübschen Park, in dem ich auf die erste Bank sank und mich freute, mein Ziel erreicht zu haben. Endlich hinlegen und ausruhen!
    Nichts hatte mich auf den Schock einige Schritte weiter vorbereitet: Der Straßenverkehr dröhnt in eine steinerne, hohe Halle mit unzähligen knarrenden Eisenbettgestellen. Ein schrecklich klammer, düsterer Raum. Und ich musste hier bleiben, konnte nirgendwo anders hin. Meine Erschöpfung und Müdigkeit wurden zu Ärger und Enttäuschung. Da half nur Zähne zusammenbeißen und in ein oberes Bett krabbeln, um der Kälte des Steinfußbodens zu entgehen. Nicht mal einen Tee konnte ich mir kochen, und die nasse Wäsche musste in die Bäume auf der anderen Straßenseite. Für ein Schläfchen war es zu ungemütlich und laut, wenigstens war das Duschwasser warm.
    Und die abendliche Vesper der Mönche, für die ich den weiten Weg auf mich genommen hatte? Trotz kontemplativer Stimmung, Orgelspiel und gesungener Gebete blieb ich Zuschauerin und Zuhörerin. Meine Seele ließ sich nicht erreichen. Nicht einmal bei der anschließenden Messe konnte ich mich sammeln.
    Ich fühlte mich allein, suchte mir einen Platz, um mein Tomatenbrot zu essen, erlaubte mir, verstimmt zu sein und verkroch mich in mein grauenvoll quietschendes Bett. Abgeschirmt von allen und allem durch meine wundertätigen Ohrstöpsel.

    Was war mit mir los? In der Natur war es mir so gut ergangen, hier blieb mein Herz zu. Irgendetwas in mir war im Missklang. Bedrückte mich die Angst wegen des Geldes? Oder meine Erkältung?

Freiheit?
Samos — Sarria — Morgade > 25 km

    „Nimm den Bus, damit du rechtzeitig in Sarria bist!“ Der Hospitaleromönch steht auf der dunklen Straße und zeigt nach drüben zur Haltestelle, doch bis ich meine Bedenken ausgeräumt habe und mich entschließe mitzufahren, ist der weg. Dann muss ich also laufen. Auf der Straße laufen, damit ich in Sarria bin, bevor mittags die Post schließt. Zwölf oder dreizehn Kilometer. Dabei habe ich heute überhaupt keine Lust auf Anstrengung, bin total verschnupft und müde, und überhaupt, muss ich denn jeden Tag Disziplin aufbringen? Ich mag nicht gehen, vielleicht halte ich einfach ein Auto an. Es funktioniert nicht, niemand reagiert auf mein zaghaftes Winken, weil wohl sogar die Autofahrer merken, dass ich nicht wirklich entschlossen bin. Es ist nicht ehrlich, ohne Not zu fahren, schließlich nenne ich mich Fußpilgerin, habe Zeit genug und meinen Beinen geht’s gut; und nur um mich zu schonen? Nein, ich kann es immer noch nicht. Kann es mir nicht ohne ,wenn und aber‘ gut gehen lassen, habe offensichtlich noch immer nicht Raymonds Worte „Geh mit deinem Herzen“ verinnerlicht. Also, noch mal meine Liebhabeübung.
    Jetzt wird es hell, und eigentlich ist es gar nicht so schlecht hier auf der Straße ohne viel Verkehr an diesem schönen Morgen. Kein Matsch, kein Geröll, ich brauche nicht auf den Weg zu achten, einfach nur trotten und schauen. Über die waldigen Hügel und die Flussniederung, auf letzte blühende Gräser am Straßenrand, die Gruppe wandernder Frauen, von denen eine ein schlimmes blaues Auge hat (woher wohl?) und zu den seltenen Häusern. Vor einem steht eine Mutter mit ihrem Kind und wartet auf den Schulbus, schlecht angezogen und mit mürrischer Miene, und bei ihrem Anblick bin ich erneut dankbar für mein Freisein.
    Aber sie braucht nicht zu laufen. Wie ich. Kilometer um Kilometer, und es wird schon wieder warm. Welch nette Überraschung ist da ein Tisch mit Schälchen voller Himbeeren vor einem Gehöft und ein schattiger Ruheplatz gleich gegenüber unter Nussbäumen. Dann folgt ein Hohlweg, in dem mehrere Meter dicke Stämme ungeheurer Eichen und Kastanienbäume seitlich abgesägt wurden damit der Weg passierbar bleibt.
    All diese Belanglosigkeiten vertreiben mir die Zeit, bis

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