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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Santiago hier rasten, dann nickt mir die freundliche Wirtin ein „sí sí“ zu.
    Ich bin heute die Erste und bekomme alles, was ich will: ein sauber bezogenes Bett im gemütlichen Vierbettzimmer mit viel Platz für meine Sachen. Und einen sauberen Duschraum mit heißem Wasser. Und Ruhe, weil die Gören weitergezogen sind, wie wunderbar. Und danach frische Milch (!) von den Kühen der Bäuerin in meinen Café, und ein Riesenstück selbst gebackenen Kuchen dazu. Dann feuert die Hausfrau den Ofen mit dicken Holzscheiten an, die Wärme zieht durch mein Schlafzimmer und ich weiß, dass ich heute nicht frieren werde. Habe plötzlich das Haus für mich allein, schaue mich drinnen und draußen um, setze mich auf eine Felsterrasse, von der ich die Sonne hinter Hügeln versinken sehe, grüße vorbeiwandernde Pilger und hoffe, dass sie weitergehen.
    Vier gehen nicht weiter. Spanische Männer, die mein Zimmer verwüsten und die Dusche überschwemmen — und furchtbar nett sind. Eben Männer. In ulkigem Radebrech erzählt mir der Braunäugige, dass sie seit drei Tagen auf dem Weg nach Santiago sind. Aha, sie gehören zu den vielen Spaniern, die nur das letzte Stück Camino gehen, damit als vollwertige Pilger gelten und eine Compostela-Urkunde bekommen. Wie jeder, der die letzten 100 Kilometer zu Fuß oder die letzten 200 Kilometer per Fahrrad oder zu Pferd zurückgelegt hat. „In drei Tagen wollen wir am Ziel sein, aber jetzt muss ich etwas essen. Kommst du mit runter in die Bar?“
    Da sitzen die drei seltsamen Frauen aus der Herberge in Astorga. Und diesmal brauche ich sie nicht mehr innerlich abzulehnen, kann meine Animositäten bleiben lassen, weil ich mich nicht mehr mit ihnen vergleiche, in ihnen nicht potenziell tüchtigere, gewandtere, schönere, klügere, jüngere Konkurrentinnen sehe. Weil mir jetzt meine Qualitäten und Fähigkeiten bewusster sind und ich stolz auf das bin, was ich auf diesem Camino geleistet habe. Gern setze ich mich zu ihnen und feiere mit, denn sie stoßen gerade auf den Hundertkilometerstein vor dem Haus an. „Nur noch 100 Kilometer, unvorstellbar nach dem, was wir schon hinter uns haben! Wir sind von der ungarischen Grenze durch Österreich, die Schweiz und Frankreich geradelt. Haben dann gehört, dass es den Jakobsweg gibt, pilgern seit Saint-Jean zu Fuß und sind total überrascht, dass so viele Leute unterwegs sind. Wir glaubten, der Camino wäre ein Geheimtipp.“ Verdacht, wie ich. Wolldecken-Aila ist Mexikanerin und überraschenderweise sehr lieb, die blonde Aishe hat sie auf einer Reise kennen gelernt. Anisa, die dritte im Bunde, geht erst seit zwei Wochen mit ihnen, teilt ihre seltsame Neigung, nachts zu wandern und gelegentlich draußen zu schlafen. Aishe erzählt, dass sie seit Jahren durch die Welt reist. Ruhelos, nirgendwo zu Hause und immer auf der Suche.
    Schon wieder eine verwandte Seele! Eine, die keinen Stillstand will, sondern hinter jeder Ecke ein spannendes, neues Stück dieses wunderbaren Lebens entdecken möchte — auch wenn es Angst und Schmerzen bereiten kann, zu lernen und sich zu spüren.
    Wir könnten noch Stunden reden, doch die drei möchten weiter, dolmetschen nur noch zwischen mir und der Hausmutter. „Was soll sie Dir kochen? Du kannst haben, was du magst.“ Was mag ich denn noch? Einen Teller Suppe zum Wärmen und um bei Kräften zu bleiben. Ich fühle keinen Hunger mehr. „Gracias und hasta luego, Mädels. Vielleicht sehen wir uns in Santiago.“
    Da werde ich bald sein. Und dann? Wie soll ich nach all diesen Wochen, in denen ich es genossen habe, mich um nichts als um mich selbst zu kümmern, ins normale Leben zurückkehren? Zu Pflichten, Kompromissen und Rücksicht. Ein schrecklicher Gedanke. — Am liebsten würde ich auf dem Camino bleiben. Immer weitergehen. Nicht denken, nichts planen, nie mehr Sorgen.
    Mich nie mehr einfügen.

Fülle
Morgade — Portomarín — Ligonde/Airexe > 29 km

    Seltsamer Morgen heute. Schon im Haus war es ruhig, weil die Spanier noch schliefen, doch draußen ist absolute, graue Stille. Undurchdringlicher Nebel, der alle Geräusche schluckt und alles verbirgt. Nur die uralte, kleine Kapelle gegenüber dem Haus taucht aus dem Halbdunkel auf und lockt mich in ihre offene Pforte, und ich staune über den Boden aus gewachsenem Felsen und Tausende von Zetteln, die den schlichten Altar und die Wände bedecken. Gebete, Wünsche oder Grüße? Schade, dass es zu dunkel zum Lesen ist, doch auch ich lasse meine Wünsche und meinen Dank

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