Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Quotenspanier.
Frolian erzählt Geschichten, Andreas und Lothar braten Maronen, Rainer setzt sich auf die Terrasse, um wie jeden Tag ein kunstvolles Aquarell zu malen. Wir anderen lassen die Beine von der Terrassenmauer zwischen Bohnen und Kohlfelder baumeln, genießen in der Nachmittagssonne den Blick auf die Berge, sind wie eine große Familie. Peter läuft drei Kilometer zurück, um einzukaufen, („Ohne Rucksack ist das überhaupt kein Problem“) Bier und Schokolade für die Männer, und Nudeln und Tomaten für ihn und mich. Ich werde für uns kochen und er will netterweise bezahlen, weil ich ihm von meinem Finanzdesaster erzählt habe. Noch während ich mich darüber freue, kommt der bayerische Ehemann zu mir: „Meine Frau und ich möchten dir hundert Euro leihen. Du kannst es uns überweisen, aber wenn du unsere Kontonummer verlierst, behalt es oder verschenk es weiter“. Und ich kann dieses Angebot leicht annehmen, drücke die beiden innig und bin ihnen sehr dankbar.
Dann koche ich in einer Küche, in der es nicht einmal ein Messer oder einen Kochlöffel gibt, höre mir Peters Probleme bei seiner Doktorarbeit an, schnorre bei den Schweizern köstlichen Käse zur Nachspeise, lasse mich verulken und werde aufmerksam, als das Gespräch auf die vielen Hunde kommt, die uns unterwegs begegnen und von denen ich mich oft bedroht fühle, weil ich ihr Verhalten nicht einschätzen kann. „Das Wichtigste ist, dass du deine Furcht nicht zeigst und unerschrocken auftrittst. Sieh ihnen nicht in die Augen, aber behalte sie im Blick, und wenn einer angreift, tu so, als würdest du dich nach einem Stein bücken, um ihn damit zu bewerfen. Und wenn das nicht hilft, versuche ihm auf die Nase zu schlagen oder knie dich auf den Boden.“ Frolians Schwester scheint Erfahrung zu haben. „Danke Melusine, ich werde es erst mal mit mutigerem Auftreten versuchen und mich nicht gleich halb aufgefressen fühlen, wenn ein Hund mich anbellt.“ Die nette junge Frau lacht, wickelt sich aus einer Wolldecke und reicht sie mir: „Die Decke haben wir von der Hospitalera für dich erbeten, damit du heut Nacht nicht frierst und dich noch mehr erkältest.“ Wie rührend.
Meine Erkältung konnte kaum schlimmer sein, aber dieser wunderschöne Tag überdeckte meine Zipperlein. Ich wurde allen Widrigkeiten zum Trotz immer glücklicher und schwereloser; kein Wunder bei so viel Liebe und Hilfe von allen Seiten! Und hatte anscheinend endgültig das Annehmen gelernt, meine Fortschritte wurden unübersehbar.
Verstimmung
Hospital da Condesa — Samos > 27,5 km
Es wäre so schön einfach gewesen, im Kloster Samos die Ursache für meine gen Nullpunkt tendierende Stimmung zu sehen — weil die Herberge darin nicht meinen Erwartungen entsprach! Aber natürlich machte nichts und niemand mir das Leben schwer, außer ich selbst und meine zunehmende Dünnhäutigkeit.
Verklärte Vorstellungen von einem besonderen spirituellen Ort hatten mich einen weiten Umweg gehen lassen — doch statt einer behaglichen Zuflucht erwartete mich eine dunkle Riesenhalle, in der ich mich augenblicklich unwohl fühlte. Ich war schockiert und genervt, bin hinaus in die Nachmittagssonne geflüchtet, unzufrieden mit den Umständen und mir, weit ich so schnell das innere Gleichgewicht verloren hatte.
Das Haus war dunkel und still und alle anderen schliefen noch, als ich leise meine Sachen im engen Schlafraum zusammensuchte und mich über die Treppe zur Küche hinuntertastete. Es blieb dunkel — nirgendwo ließ sich Licht anschalten. Wunderbar, ich liebe es in Dunkelheit herumzugeistern und alle meine Sinne zu nutzen, fand mich fühlend und ohne viel Suchen gut zurecht und konnte sogar Teewasser aufsetzen, weil der Herd funktionierte.
Durch die großen Küchenfenster waren die Bergkonturen vor dem schwarzen Sternenhimmel zu erahnen, zwei, drei Autos beleuchteten im Vorbeihuschen die Küche für einen Moment und ich fühlte mich sehr wohl, wie allein auf der Welt.
Frolian und Lothar beendeten meine meditative halbe Stunde, als sie die Treppe heruntertrappelten, nach Männerart umgehend den Grund für die Störung suchen und beheben mussten und wieder ihre Späße mit mir trieben. Dann kam aus dem Wohnraum ein verschlafener Rainer, der gestern Abend noch mein Bettnachbar war, aber anscheinend seit irgendwann hier unten geschlafen hat, und auch die anderen erschienen gähnend und verwuschelt in der Küche. Andreas kochte Nudelsuppe, wir tauschten Käse gegen Tee, teilten unser
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