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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Gerührt danke ich, steige weiter, vorbei an Bauern, die an steilen Hängen mit Sicheln Gras mähen oder am Wegrand Holz spalten, bis ins verwunschene La Faba. Hier wird Mona im nächsten Frühling Hospitalera sein, doch ich will mir nicht die Herberge anschauen, mag nicht einmal auf der anderen Dorfseite ins Tal blicken; ich brauche Abkühlung. Im Schatten zwischen Gehöften und Baumkronen hänge ich matt Arme und Beine in den Dorfbrunnen und schließe erschöpft die Augen. Wie ruhig es hier ist. Glückliche Mona, ich beneide sie.
    Der Aufstieg ist noch nicht zu Ende, weitere schattenlose Kilometer mit wechselnden atemberaubenden Bergpanoramen folgen. Rundherum sonnenbeschienene Weite, Berg hinter Berg, Stille und Einsamkeit. Ich bleibe oft stehen, schaue mich um, weiß kaum, wohin mit meinem inneren Strahlen und fühle mich eins mit Gottes grandioser Natur. Bete, singe und genieße jeden Moment.
    Der Anblick eines Getränkeautomaten am Wegrand neben einer Bank holt mich in die Realität zurück. Warum nicht hier mit dieser schönen Aussicht vespern? Da kann ich auch gleich meine Wäsche zusammenlegen, die auf meinem Rucksack baumelnd getrocknet ist, und mich mit einer netten deutschsprachigen Gruppe unterhalten, die den Weg heraufkeucht und nach Cola jappst.
    Und kaum bin ich wieder unterwegs, weiß ich, wie weit ich noch gehen muss: 152,5 Kilometer. Galicien beginnt, ab hier stehen alle 500 Meter Wegsteine mit einer Jakobsmuschel, einer Ortsbezeichnung und der Entfernung bis nach Santiago de Compostela. Hier am Rand des Pfades steht der erste — und nach kurzer Freude finde ich es schrecklich. Endlich bin ich so weit aus der Welt, dass ich Denken und Kontrolle beiseite lassen kann, doch ich werde von nun an ständig sehen, wo ich bin, werde meine Entrücktheit nur bewahren können, wenn ich meine Wahrnehmung reduziere. Immer wieder neue Plage!
    Gegen Mittag bin ich am höchsten Punkt dieses Aufstiegs, im uralten keltischen О Cebreiro, ignoriere große Hunde, Touristen, Souvenirgeschäfte und Restaurants und steuere direkt die schlichte Pfarrkirche neben dem Friedhof an. Sie stand schon dort, als es noch keine Wallfahrt nach Compostela gab, ist selbst Wallfahrtsort, denn dort ist eines der ,Gralswunder‘ geschehen:
    Ein Mönch des Klosters Cebreiro zelebrierte unwillig die Heilige Messe für einen einzigen Bauern, der bei schrecklichem Wetter den Weg hier hinauf nicht gescheut hatte. Der Mönch dachte, dass der Bauer ein schöner Dummkopf sei, für Brot und Wein diese Mühe auf sich zu nehmen. Da verwandelten sich vor beider Augen die Hostie in Fleisch und der Wein in Blut.
    Wenige Jahre zuvor hatte das 4. Laterankonzil das Dogma von der realen Gegenwart Christi in Hostie und Wein beschlossen, da kam dieses Wunder gerade recht, um die Weisheit der Kirchenmänner zu bestätigen. Seit damals sind Hostienteller und Kelch in dieser Kirche Ziel unzähliger Gläubiger, und auch ich bin neugierig, die Reliquien zu sehen, von denen ich viel gelesen habe. Als ich vor ihren steinernen Schrein im romanischen Kirchenraum trete — werde ich verzaubert. Edel und schlicht stehen sie hinter Panzerglas und halten mich fest, als würde von ihnen Kraft ausgehen. Und je länger ich hier stehe, desto stärker zweifle ich an meiner bisherigen Einstellung. Was weiß ich kleiner Mensch überhaupt? Was hindert mich, an das zu glauben, was ich fühle? Warum kann nicht auch unbeseelte Materie spirituellen Geist transportieren? Nachdenklich und viel weniger kritisch verlasse ich die Kirche und О Cebreiro, bergab und im Schatten. Das tut mir gut!
    Erschöpft von Aufregung, Erkältung, Aufstieg und Hitze bin ich froh, die Herberge in Hospital da Condesa zu erreichen. Ein kleines Haus hinter Ställen und Scheunen, mit offener Tür und einem Zettel daran:
    GEHT HINEIN, ABENDS KOMMT EINE HOSPITALERA.
    „Hola.“ Ein junger Mann sitzt mutterseelenallein im Wohnraum, da will ich mich erst mal weiter umsehen. Es gibt nur einen einzigen Schlafraum — und wenn nun niemand mehr kommt? Ich höre auf mein Bauchgefühl und beschließe hier zu bleiben; der Mensch scheint sympathisch zu sein, und letzte Nacht habe ich mit zwei Männern allein in einem Saal geschlafen, habe mich überhaupt noch nie unsicher oder bedroht gefühlt. Überflüssige Gedanken, denn als ich meinen Rucksack absetze, wird es laut und deutschsprachig, kommen die deutsch-schweizerische Gruppe ,Cola-Automat‘, ein Münchner Ehepaar mit spitzen Filzhüten und ein

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