Wie immer Chefsache
mit nach Hause genommen, um sie dort zu redigieren, wäre Nadine wahnsinnig geworden, wie sie glaubhaft versicherte, denn das hätte sie nicht auch noch geschafft. An manchen Tagen ließ Mattes Mina zuhause und bat Astrid, sich um sie zu kümmern, weil er nach München fliegen musste oder Berlin oder Wien, oder einen ganzen Tag lang mit dem qualmenden Peter über Layoutseiten hing.
»Es ist nur, weil es die Erstausgabe ist«, tröstete er sich und seine Mitarbeiter. »Wir fangen bei null an. Beim nächsten Heft haben wir alle Grundlagen und füllen nur noch die Seiten.«
An einem Vormittag fiel es ihm während eines Telefongespräches mit der Tierhilfe Mallorca siedendheiß ein: Er hatte heute das morgendliche Laufen mit Alex verpasst. Einfach vergessen. Am Telefon erzählte ihm die Frau von den Problemen der Straßenhunde, die auf der Insel auf sich gestellt waren, während ihm das Bild von Alex durch den Kopf ging, der alleine um den See lief. Und er hatte ihn nicht mal angerufen, um abzusagen. Wie weit war es mit ihm gekommen? Das Menschliche ging den Bach runter, weil er nur an das Magazin dachte. Irgendwann würde er ohne Sozialkontakte dastehen, nur noch arbeiten, jede Nacht in der Redaktion auf seiner Matratze schlafen und sich aus Zeitmangel einen Bart wachsen lassen, der ihn quasi zum Riesenschnauzer unter den Chefredakteuren machen würde. Und Alex, sein Kumpel, der immer für ihn da gewesen war, würde alleine um den See laufen und alleine auf dem Tennisplatz stehen. Er musste ihn sofort anrufen! Leider war die Mallorca-Frau nicht ganz so schnell abzuwimmeln. Als er es gerade geschafft hatte, kam Frau Althoff ins Zimmer und sagte: »Sie sind für einige Tage in Zürich.«
»Was?« Mattes sah sie irritiert an.
»Steinle-Bergerhausen vom Verlag wollte hierherkommen, und da er selber ab Freitag auf Geschäftsreise ist, habe ich Sie kurzerhand bis Donnerstag nach Zürich geschickt. Leider verpassen Sie sich damit knapp und Steinle-Bergerhausen musste von seinem Vorhaben absehen. Zumindest vorerst.«
Später kam Peter ins Büro, breitete mehrere große Layoutbögen auf dem Schreibtisch aus und sah mit seinen inzwischen sehr dunklen Augenringen alles andere als fit aus. Mattes vermutete, dass er neben seiner Arbeit auch noch mit der Band unterwegs war. Wahrscheinlich schlief er seit zwei Wochen überhaupt nicht mehr. Peter knurrte kurz angebunden: »Drei Varianten, welche willst du haben?«, und Mattes, der inzwischen wusste, dass das Knurren kein Zeichen schlechter Laune, sondern bei Peter die übliche Art der Kommunikation war, beugte sich mit ihm über die Ausdrucke, um zu entscheiden, was am besten in die neue ›doggies live‹ passen würde. Erst am Abend, als er viel zu spät mit Mina nach einer letzten Runde am Straßenrand nach Hause kam, fiel ihm Alex wieder ein. Den musste er morgen unbedingt anrufen, war sein letzter Gedanke, bevor er ins Bett fiel und sofort einschlief.
Astrid fing ihn schon wieder ab, als er am nächsten Morgen aus der Wohnung kam. Er war spät dran, weil er schon im Internet recherchiert hatte, und jetzt musste er mit den frisch ausgedruckten Informationen zur Redaktion eilen. Sie hatte mit Sicherheit schon länger auf das Geräusch seiner Haustüre gewartet, denn es konnte kein Zufall sein, dass sie so punktgenau aus ihrem Haus kam.
»Ich soll dich von einer Frau Wagner grüßen«, rief sie ihm zu.
Mattes blieb ruckartig stehen.
»Die habe ich getroffen, als ich vorgestern mit Mina im Park gelaufen bin. Ihr Hund heißt Benni.«
»Berry«, korrigierte Mattes, aber Astrid bestand auf Benni. Dass sie immer auf ihrer Meinung beharrte, war neben ihrer ständigen Fürsorge ihr zweiter großer Makel, aber Mattes lächelte heute darüber. Beatrice hatte nach ihm gefragt.
»Ich glaube, sie hat mich für deine Freundin gehalten«, lachte Astrid, und er spürte das schlagartige Herabsinken seiner guten Laune.
»Wieso das denn? Wie kann sie mir so was zutrauen?«
»Na, könnte doch sein«, sagte Astrid, leicht aufgebracht über seine Reaktion.
Das fehlte noch. Er sagte den Termin mit Beatrice ab, und dann hielt sie Astrid für seine Freundin. Nur weil sie mit seinem Hund rumlief.
Astrid kam vertraulich näher: »Keine Sorge. Ich hab ihr gesagt, dass ich deine Schwester bin. Deine jüngere Schwester«, betonte sie und grinste stolz.
Mattes grinste zurück. Astrid war verrückt, wenn sie ernsthaft glaubte, dass nicht jeder sofort sah, dass sie sechs Jahre älter war, aber Gott
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