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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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eher damit verbracht, durch sämtliche Dunkelräume der Stadt zu kriechen, als sich um sein Studium zu kümmern.“
    Arne hebt die Augenbrauen. Diese Schilderung von Jakob passt so gar nicht zu dem Bild, das er von seinem Freund hat. Und er ist nicht sicher, ob er hören will, wie Jakob es mit einem anderen Mann getrieben hat. Obwohl sie seit Jahren keinen Sex mehr haben und er weiß, dass Jakob – genau wie er – sich seine Befriedigung bei anderen geholt hat, bemerkt er so etwas wie Eifersucht.
    „Du glaubst mir nicht?“, fragt Katrin. Sie sind an einem kleinen, schilfbestandenen Wasserlauf angekommen, an dessen Ufer eine verwitterte Holzbank steht. Katrin holt ein Papiertaschentuch aus ihrer Hosentasche, wischt über die Sitzflächen und nimmt Platz. Hinter ihnen steht ein Busch Brennnesseln in Blüte und verströmt einen feinen Duft von Honig.
    „Doch, schon“, entgegnet er und setzt sich zu ihr. „Es ist nur … Jakob war seit Jahren in keiner schwulen Kneipe. Er glaubt, er sei dafür zu alt.“
    Katrin streift eine Haarsträhne hinters Ohr und beobachtet eine Ameisenstraße zu ihren Füßen, die sich vom Kadaver einer verendeten Schnecke ins Gebüsch zieht. „Damals konnte er nicht genug davon bekommen. Er kam an diesem Morgen fünfzehn Minuten zu spät in den Unterricht und war total aufgeregt. Jedes Mal, wenn sich die Dozentin umgedreht hat, um etwas an die Tafel zu schreiben, hat er auf mich eingeredet. Er wollte unbedingt diese Geschichte loswerden. Am Abend zuvor ist er wohl zum ersten Mal in seinem Leben in einer Lederkneipe gewesen. Ich wusste gar nicht, was das ist, und er musste mir das erst erklären.“
    „Eine Kneipe, in der sich Männer treffen, deren Fetisch Lederklamotten sind“, wirft Arne ein. „Ein Synonym für etwas härteren, robusten Sex.“
    „Noch so was, das ich bei schwulen Männern nie verstehen werde“, erwidert Katrin. „Für mich gehören Sex und Liebe zusammen. Wieso ist das bei euch anders?“
    „Das hat nichts mit Schwulsein zu tun. Heteromänner würden auch wild in der Gegend herumficken, wenn ihre Frauen sie nur lassen würden. Frag deinen Jochen.“
    „Das würde der sich niemals trauen“, antwortet Katrin grimmig, und Arne lächelt still in sich hinein. „Jedenfalls ist Jakob da von einem Typen angequatscht worden, voll aufgebrezelt in Lederjacke, Lederhose, schweren Stiefeln und einer von diesen lächerlichen Schirmkappen, die damals wohl sehr in Mode waren in eurer Szene.“
    „Ein Tom of Finland -Klon“, erinnert sich Arne. „So wollten wir damals alle aussehen. Heute laufen die schwulen Kids andauernd in Sportklamotten herum, als kämen sie gerade aus dem Fitnessstudio.“
    „Nicht nur die schwulen Kids. Auch meine Studenten an der Uni“, seufzt Katrin. „Ich fühle mich dann immer so entsetzlich alt … Jakob hat sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen und ist mit dem Typen mitgegangen. Zu seinem größten Bedauern ist es aber nicht zum Äußersten gekommen. Der Ledertyp hat ihm nämlich eine Pille angeboten, womit der Sex angeblich noch geiler werden würde, und zwanzig Minuten später hat Jakob einen Lachflash nach dem anderen bekommen. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, hat er erzählt.“
    „Jakob hat Drogen eingeworfen?“ Arne kann nicht glauben, was er da hört. Bisher wusste er nur, dass Jakob in seiner Jugend ab und zu einen Joint geraucht hatte.
    „Ich glaube, er wusste nicht mal genau, was er da eigentlich genommen hat. Einen Trip oder eine Ecstasy, keine Ahnung.“ Arne ist ziemlich sicher, dass Mitte der achtziger Jahre noch niemand von Ecstasy-Tabletten gehört hatte, aber er will Katrin nicht schon wieder unterbrechen. „Der Typ war daraufhin so frustriert, dass er Jakob halbnackt aus seiner Wohnung geworfen und ihm seine Klamotten hinterhergeschmissen hat“, erzählt sie. „Jakob musste sich im Hausflur anziehen und mitten in der Nacht zu Fuß nach Hause laufen, immer noch kichernd. Auf dem Rückweg ist er vor Lachen beinahe von der Deutzer Brücke in den Rhein gefallen.“ Katrin hebt einen Stein vom Boden auf und wirft ihn ungeschickt in den Bach, wo er mit einem Plumps versinkt. Sie sieht Arne an. „Das ist der Jakob, den ich damals kennengelernt habe.“
    Die Anekdote über seinen Freund hat ihn wehmütig gemacht. Nichts von diesem jungen Jakob ist in dem älteren erhalten geblieben. Mit Drogen oder Leder kann Arne nichts anfangen, dafür ist er zu strukturiert, so etwas passt nicht in seine

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